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Kultur: Mit Sachkenntnis Feindbilder abbauen

Peter Scholl-Latour war Gast der Potsdamer Tafelrunde in den Neuen Kammern

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Im vergangenen Jahr veröffentlichte der Journalist und Buchautor Autor Peter Scholl-Latour bei Ullstein das Buch „Russland im Zangengriff – Putins Imperium zwischen NATO, China und Islam“. Dieser Tage war er bei der Potsdamer Tafelrunde in den Neuen Kammern zu Gast. Diese Veranstaltungsreihe wird unter anderen vom Brandenburgischen Literaturbüro organisiert.

Die erste Frage des Moderators Klaus Rost zur Rückkehr des russischen Imperiums, setzte einen weit schweifenden Exkurs Peter Scholl-Latours über die augenblickliche Situation Russlands seit der Implosion der Sowjetunion in Gang. Aber mit spielerischer Leichtigkeit und unverwechselbarem Charme rief er alle Konfliktthemen und Konfliktorte Russlands auf, die der 84Jährige besuchte. Die bevölkerungsarmen sibirischen Grenzregionen, die dem chinesischen Bevölkerungs- und Wirtschaftsboom ausgesetzt sind. Die zentralasiatischen GUS-Staaten, die einen stetig anwachsenden islamischen Bevölkerungsanteil besitzen, in denen die USA Präsens unübersehbar wäre. An den westlichen Grenzen die zunehmende Ausdehnung der NATO und EU. Durch eklatante Fehler der Bush-Administration, die diese Bedrohungssituation Russlands nicht begreife und respektiere, wären wir wieder in eine unsinnige Situation des Kalten Krieges mit ähnlichen Fronten geraten, sagte Scholl–Latour.

Den Hinweis von Klaus Rost, dass die baltischen Republiken und die Republik Polen die Mitgliedschaft in der NATO doch selbst anstrebten, erklärte Scholl- Latour mit den traumatischen Erfahrungen dieser Länder mit der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Und dennoch: Amerikanische Raketen wären in unmittelbarer Nähe zu St. Petersburg für Russland unerträglich. Ein Trauma des Kalten Krieges für die Russen, das verständlich wäre. Ein neues Tauroggen müsste es nicht sein, aber ein partnerschaftliches Verhältnis zu Russland, mit einem gesunden Misstrauen, wären für Deutschland, für die EU und für die NATO unbedingt anzustreben. Deutschland ist auf die Lieferungen von Erdöl und Erdgas angewiesen. Russland benötigte dringend moderne Technik und Technologie, die Deutschland liefern könnte. Es wäre nicht zu übersehen, dass es inzwischen gute Handelsbeziehungen zu China gäbe. Und gemeinsame Manöver im Pazifik. Möglicherweise schon verpasste Chancen?

Auch der augenblicklich wieder aufflammende Kaukasuskonflikt kam ins Gespräch. Die Anerkennung des Kosovo, die ein weit reichender Fehler sein könnte? Natürlich ein Fehler, der auch wieder einen weiteren Konflikt für Russland nachziehen könnte. Auch Tschetschenien und Ossetien könnten nun gleiche Forderungen stellen, vermutete Scholl-Latour. Weder der Kaukasuskonflikt noch Afghanistan deuteten allerdings darauf hin, dass Russland zurzeit expansive Absichten verfolge. Im Gegenteil, Russland reagiere nur auf die jeweiligen Bedrohungen, die aber durch gute Sachkenntnis immer kalkulierbar blieben. Russland wird am Hindukusch verteidigt. Nicht Deutschland. Bei aller Sympathie und Verständnis für Russland wäre doch festzustellen, dass dieses Land eine Geheimdienstdiktatur wäre. Das ließe sich nicht beiseite legen, entgegnete Rost. Natürlich. Eine solche Regierung ist ganz und gar nicht ideal, aber nach den Jahren der Pseudodemokratie und des Machtvakuums, in der die Oligarchien entstanden, ist es die einzige Möglichkeit, diese Kräfte an die Leine zu legen. Denn die Oligarchien verfügten über genügend Geld und Macht, eigene politische Strategien zu verfolgen. Auch am Kreml vorbei.

Dass Sachkenntnis die einzige Möglichkeit ist, politisches Verständnis zu erlangen und Feindbilder abzubauen, war eine wichtige Erkenntnis des Abends, die noch in den anschließenden kleinen Gesprächsrunden beim Wein durchschimmerte. Gespräche, für die es keinen besseren Ort geben könnte, als die berühmte Tafelrunde der Aufklärung.

Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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