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Kultur: Mit Spott

Andrea Hanna Hünniger las aus „Paradies“

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Auf die polarisierenden Darstellungen der DDR als lächerlich auf der einen und grausam auf der anderen Seite weiß die 28-jährige, in Weimar geborene und aufgewachsene Autorin Andrea Hanna Hünniger nur eine Antwort: beißenden Spott. Die DDR als Reservat, als Themenpark mit Kassenhäuschen im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, mit Stasispitzelverurteilungen zum Zuschauen für die besonders Gänsehautfreudigen, und über allem das Sandmännchen als freundliches Maskottchen.

Diese etwas skurrile Utopie findet, wer in ihrem vor wenigen Monaten im Tropenverlag erschienenen Buch „Das Paradies. Meine Jugend nach der Mauer“ liest. Oder aber sich am Mittwochabend in der Landeszentrale für politische Bildung von der Autorin persönlich daraus vorlesen ließ. Eigentlich, so sagte sie selbst, bevor sie in ihre ganz und gar nicht chronologischen, eher als Sequenzen zusammengefügten Erinnerungen einsteigt, fällt sie beinahe schon heraus aus der Gruppe der dritten ostdeutschen Generation.

Moderatorin und Organisatorin der Veranstaltung, Martina Weyrauch, beschrieb diese Generation der zwischen 1975 und 1985 Geborenen in ihrer Einführung gerade aufgrund der Transformationserfahrungen in den zwei Systemen DDR und BRD als besonders kompetent und qualifiziert. Diese Generation, so Weyrauch, erhebe gerade verstärkt ihre Stimme und so werde auch die Landeszentrale für politische Bildung in ihrer Reihe „Nachlese – Das politische Buch“ sowie in zwei Folgeveranstaltungen diesen jungen Menschen gern eine Plattform sowie die Möglichkeit zum Diskurs geben.

Der fand für Andrea Hanna Hünniger erst einmal mit den eigenen Eltern statt. Die beiden, die ihr in ihren Erinnerungen manchmal wie unmündige, eingeschränkt geschäftsfähige Kinder vorkamen, reagierten lange Zeit sehr empfindlich auf die Fragen ihrer Tochter nach deren DDR-Vergangenheit. Erst ihr Projekt „Buch“ funktionierte als Mittler zwischen den Generationen und bewegte das Gespräch. Ihre Eltern waren in der landwirtschaftlichen Forschung tätig und reagierten ganz unterschiedlich auf den Bruch 1989. Während die Mutter aktiv wurde und von Amt zu Amt lief, fiel der Vater in einen lethargischen Zustand, der ihn wochen- und monatelang auf die Wohnzimmercouch fesselte.

Sicher stehen die Eltern Andrea Hanna Hünnigers nicht exemplarisch für die erste und zweite ostdeutsche Generation. Das weiß auch die Autorin, die offen über ihre mit hohen Funktionärsposten versehene Verwandtschaft spricht, die nach der Wende sehr wohl wieder auf die Füße gefallen ist. Trotzdem bilden die Eltern mit ihrer ganz persönlichen Nachwendebiografie etwas ab, über dem noch immer ein tiefes Schweigen liegt. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum der an die Lesung anschließenden Diskussion wieder ein hoher Grad an Emotionalität anhaftete. Um Scham ging es und einseitige Darstellungen, um die Ost- und Westfrage, um die Frage nach Vielfalt in der DDR, um die Angst vor Systemkonformismus, wenn man in der DDR sein Leben gelebt hat.

Tatsächliche Selbstkritik und ein Hinterfragen der eigenen Positionierung in der Vergangenheit und das Gespräch über die ganz persönlichen Brüche ist einfach noch ein viel zu aufwühlendes Thema und wird darum wohl erst, wie das Beispiel von Andrea Hanna Hünniger zeigt, von den Folgegenerationen angefasst, ja angestoßen werden. Andrea Schneider

Andrea Schneider

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