Kultur: Mittendrin
Die neue Dauerausstellung „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“ im Filmmuseum
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Die Wirklichkeit auf den Kopf stellen. Das, was ist, was sein muss, einfach ignorieren und eigene Gesetzmäßigkeiten schaffen. Die Fantasie zum obersten Gesetz erheben. Darin liegen sie ja begründet, Kunst und Faszination der Filmwelt, die dann, im besten Falle, wie ein Zauber wirken. Und das ganz unmerklich, fast schon durch die Hintertür.
In der neuen Dauerausstellung „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“ die am heutigen Donnerstag im Filmmuseum feierlich eröffnet wird und ab morgigen Freitag besichtigt werden kann, findet sich ein treffendes Sinnbild für diese Kunst und Faszination, die von den Filmen ausgehen kann. Und wenn man nicht eher durch Zufall den Kopf hebt, bleibt dieses Sinnbild einem verborgen.
Wer die Ausstellung im Marstall betritt, sieht sich erst einmal einigen Stehpulten gegenüber, hinter denen sich in futuristischen Formen ein blaues Gebilde erhebt, das irgendwie an eine Mischung aus Raumschiff und gewagter Bekleidungsgeschäftseinrichtung erinnert und entsprechend Neugier weckt. Doch genau dort, über den Stehpulten mit ausgewählten Drehbüchern, befindet sich ein weißer Tisch an der Decke, auf dem neben einer antiquierten Schreibmaschine ein Laptop steht. Weiße Kabel führen von diesem Tisch über die Wände zu verschiedenen Drehbüchern aus der 100-jährigen Babelsberger Filmgeschichte, die es hier zu entdecken gilt. Weiß und unschuldig wie das unbeschriebene Blatt Papier, auf dem, ob nun wie in den Anfangstagen auf der alten Schreibmaschine oder heute auf dem Computer, am Ende die Ideen für die Filme stehen. Und die besten Ideen sind immer noch die, durch die die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt wird.
Entdeckung und Erlebnis, so lässt sich die neue Dauerausstellung „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“ wohl am besten umschreiben. Zu entdecken gibt es Bekanntes und Neues. Und erleben lässt sich hier, wie aus den Ideen ein Film entsteht. Keine Ausstellung, die den Besucher nur in Vitrinen glotzen und Devotionalien von Stars und Sternchen aus der Traumfabrik Film bewundern lässt oder mit bücherlangen Texttafeln ermüdet. Hier ist man mittendrin!
In sieben „Themenräume“ ist die Ausstellung gegliedert, beginnend mit der „Ideenschmiede“ mit den Drehbüchern auf den Stehpulten über „Mimen & Masken“, „Filmbaumeister“, „Achtung Aufnahme!“, „Montage“, „Musik & Ton“ und zum Schluss dann die „Premiere“. Obwohl das Wort „Schluss“ hier dem Aufbau von „Traumfabrik. 100 Jahre Film in Babelsberg“ nicht gerecht wird. Denn der Besucher wird nicht vom ersten bis zum letzten „Themenraum“ geführt und danach wohl versorgt vor die Tür gesetzt. Vor und zurück kann er gehen, im Grunde diese so vielseitige Filmentstehungswelt so lange umkreisen, bis er endlich oder nur vorerst genug gesehen hat.
Auf einer Fläche von 450 Quadratmetern erzählt das Team um Museumsdirektorin Bärbel Dalichow die drei Epochen der Studiogeschichte in Babelsberg: von der Bioscope und Ufa (1912 bis 1945), über die Defa (1946 bis 1992) bis heute. Eine Zeit, in der, so Bärbel Dalichow, über 3200 Kino- und Fernsehfilme produziert wurden. Mehr als 500 Objekte, über 1000 Fotografien und gut 350 Filmausschnitte versuchen nun im Filmmuseum, die wechselvolle Geschichte an ausgewählten Beispielen zu erzählen und Filmentstehung erlebbar zu machen. Und wie bei guten Filmen, die ihre volle Wirkung erst nach mehrmaligem Sehen entfalten, ist es auch die Wiederholung, durch die diese Ausstellung immer reizvoller wird.
Ob man sich nun in der „Ideenschmiede“ in die Entstehung eines Drehbuchs wie beispielsweise für den Film „Emil und die Detektive“ aus dem Jahr 1931 vertieft oder sich bei „Mimen & Masken“ vor dem großen Schaukasten stehend von dem herrlichen Wirrwarr an Utensilien, Werkzeugen und Modellen verzaubern lässt, das für die Vielfalt der Gewerke für Masken und Kostüme steht. Ob der Besucher sich einfach mal „casten“ lässt oder im Themenraum „Montage“ selbst zum Schnittmeister wird. Oder ob er einfach nur vor dem Miniaturnachbau des Waldgebildes aus Fritz-Langs-Stummfilmklassiker „Die Nibelungen“ steht, Paula aus Heiner Carows „Die Legende von Paul und Paula“ in ihrem Bett betrachtet oder sich an das blutige Gemetzel vor dem Filmprojektor in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ erinnert: Wie im Film ist hier scheinbar alles möglich. Selbst als Filmkomponist darf sich der Gast hier betätigen, wenn er per Touchscreen die verschiedenen Instrumente des Filmorchesters Babelsberg spielen oder einfach schweigen lässt.
Dann ist da noch die Totenmaske von Asta Nielsen und, von ganz großer filmhistorischer Bedeutung, auch ein Toupet von Hans Albers. Und wer dann noch immer nicht genug hat, der darf auch singen. Ja, aber nicht allein, sondern Playback mit Zarah Leander, in einem akustisch abgeschirmten Raum. Da steht die Wirklichkeit dann tatsächlich ein wenig Kopf. Aber wer sagt denn, dass eine solche Ausstellung nicht auch Spaß machen darf?
Ab morgigen Freitag, 10 Uhr, im Filmmuseum im Marstall in der Breiten Straßen 1a. Öffnungszeiten dienstags bis sonntags, 10-18 Uhr. Der Eintritt kostet 4,50 Euro, ermäßigt 3,50 Euro
Dirk Becker
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