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Mit Gitarre, aber ohne Effektgerät. Arjopa, Meisterin im tuvinischen Kehlgesang.

©  Manfred Thomas

Von Dirk Becker: Mixtur ist ihre liebste Rezeptur

Arjopa aus Potsdam hat sich dem tuvinischen Kehlgesang verschrieben und mixt ihn fröhlich mit Punk

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Es gibt immer wieder Leute, die nach einem Konzert von Arjopa auf die Bühne kommen und mit verstohlenen Blicken das Mikrofon und dann den Boden nach versteckten Effektgeräten absuchen. Sie können einfach nicht glauben, dass für das, was sie da gerade gehört haben, die Stimmbänder einer Frau verantwortlich sein sollen. Und wenn dann ein renitenter Ungläubiger, obwohl er nichts entdecken kann, weiter skeptisch fragt, zeigt Arjopa einfach auf ihren Hals und sagt: „Das Effektgerät steckt da drin.“

Arjopa konnte schon so manches über ihre seltene Kunst lesen. Oft schmeichelhaft wie „Phantastisch, hypnotisch, schamanisch, prickelnd“, „schwer kultverdächtig“ oder „Das Berliner Stimmband-Didgeridoo“. Aber auch von einem Klang „als gurgelten ein heißerer Elche und ein stimmbrüchiger Schafbock im Duett“ war schon die Rede. Sie nimmt das mit Humor und zeigt Verständnis. Schließlich ist es ja doch eine Seltenheit, fast schon Kuriosität, eine Berliner Pflanze wie Arjopa zu treffen, die sich mit Haut und Haaren dem Kehlgesang verschrieben hat.

Kehlgesang. Natürlich hat man davon gehört, sagt man im Gespräch mit der Sängerin, die in Babelsberg lebt. Der kommt aus der Mongolei. Und schon hebt Arjopa ihre rechte Hand und weist einen freundlich aber bestimmt zurecht: „Nicht aus der Mongolei, sondern aus Tuva!“

Tuva, das ist eine autonome Republik, im südlichen Teil von Sibirien, an der nordwestlichen Grenze der Mongolei gelegen, erklärt Arjopa. Und in diesem kleinen Land sei der für mitteleuropäische Ohren so exotisch klingende Kehlgesang entstanden, der den einen an ein Didgeridoo, den anderen an das schon erwähnte Duett zwischen Elch und Schafbock erinnert. Es ist die Kunst – Arjopa nennt es gern auch „knallhartes Handwerk“ – bei dem neben einem Grundton gleichzeitig auch die Obertöne aus der Kehle kommen. Das klingt dann, als seien da mehrere Stimmen am Werk. Wenn man Arjopa nur einmal gehört hat, kann man schnell verstehen, dass mancher bei ihr nach versteckten Effektgeräten sucht.

Mit zwölf Jahren hörte Arjopa zum ersten Mal diesen Kehlgesang. Heimlich hatte sie wieder einmal in der Plattensammlung ihres Vaters einer dieser Scheiben mit der rätselhaften, kyrillischen Beschriftung herausgenommen und aufgelegt. Ihr Vater, von Beruf Postbeamter, aber, so Arjopa, tief in seinem Herzen ein Abenteurer, hatte von seinem Bruder, der als Musikethnologe im Völkerkundemuseum arbeitete, immer wieder musikalische Aufnahmen aus den entferntesten Regionen bekommen. Darunter auch Aufnahmen von Kehlsängern aus Tuva. „Als ich das hörte, ohne genau zu wissen, was da eigentlich passierte, war das für mich wie ein Erweckungserlebnis“, sagt Arjopa, die ihren Namen, der für Pilgerin steht, ihrem abenteuervertäumten Vater verdankt. Der muss dann auch reichen. Denn mehr will Arjopa nicht verraten. Und das Alter? „Vergessen“, sagt sie.

Vergessen hatte Arjopa auch für eine gewisse Zeit den Kehlgesang. Sie wollte auf die Bühne und wählte zuerst den klassischen Weg. Sie belegte Gesang, Tanz und Schauspiel. Doch ihre Gesangslehrerin meinte es nicht gut mit ihr. „Die Frau hat mir meine Stimme kaputt gemacht.“ Durch eine Therapie sei sie wieder zum Kehlgesang gekommen. Arjopa kramte die Schallplatte heraus, versucht nachzumachen, was sie dort hörte, und es funktionierte. Als sie später sowohl vor Mongolen als auch vor Tuvinern ihr Können zeigt, waren die einfach nur erstaunt. „Die sagten sofort, ich sei eine von ihnen.“

Mittlerweile ist Arjopa das auch offiziell. „Khoomeiji“, diktiert sie, sei ihr offizieller Titel. Sprich, die einzige, von tuvinischen Meistern anerkannte Kehlsängerin der westlichen Welt. Regelmäßig reist sie nach Tuva, um dort zu singen und zu lernen. Im Jahr 2003 wurde Arjopa vom tuvinischen Kulturministerium als einziges nicht-tuvinisches Mitglied in die Jury des Khoomei-Symposiums berufen. Sie hat sogar ein Lehrbuch über das Obertonsingen herausgebracht. Doch als Vorkämpferin für den traditionellen, tuvinischen Kehlgesang in Europa sieht sie sich nicht. Die Mixtur ist Arjopas liebste Rezeptur.

„Khoomei Throatsinging Electric Punk. Shamanic Pop Art“ nennt sie die Musik, die sie zusammen mit dem Gitarristen Tony Trippy Tremolo und dem Schlagzeuger und Maultrommelvirtuosen The Master U Like auf die Bühne bringt. Ein äußerst eigenwilliger, aber auch hoch fröhlicher Brückenschlag zwischen Ost und West. „Singen ist Seele zeigen, der absolute Striptease“, sagt Arjopa. Auf der Bühne kennt sie da keine Zurückhaltung, was ihr dann auch schnell die Bezeichnung „Nina Hagen des Khoomei“ eingebracht hat. Zahlreiche Konzerte hat Arjopa – entweder solo oder mit ihrer neuen Stammbesetzung Tony Trippy Tremolo und The Master U Like – vor allem in Berlin gegeben. Am kommenden Sonntag werden sie in der Dresdener Dreikönigskirche auftreten. Und es ist damit zu rechnen, dass nach dem Konzert mancher Zuschauer mit verstohlenem Blick das Mikrofon und den Bühnenboden nach möglichen Effektgeräten absucht.

www.arjopa.eu

Dirk Becker

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