Kultur: Monster-Party
Literweise Kunstblut: Gwar im Lindenpark
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Es gibt für Ostersonntag eigentlich nur zwei Gestaltungsmöglichkeiten: zum einen könnte man mit der Familie einen ruhigen, gottgefälligen Tag einlegen, den man mit einem Spaziergang durch den Park Sanssouci abrundet. Zum Ausklang nimmt man sich den Goethe zur Hand und erfreut sich am Faust’schen Osterspaziergang. Gut hundert Leute entschieden sich für die Alternative: ein Konzert von Gwar und damit die provokanteste Show, die der Verfassungsschutz im Moment durchgehen lässt.
Hier wird nicht die Auferstehung des Herrn gefeiert, sondern die einer maskierten Trash-Band, die ihren satirischen Deckmantel in literweise Kunstblut und andere Körpersäfte tränken und seit gut 20 Jahren in Gummi-Kostümen die Grenzen des guten Geschmacks niedermetzeln. Ein Haufen Kunststudenten aus Virginia, die in den 80er Jahren ein paar Liter Kunstblut und etwas Pappmachee über hatten, nannten sich Gwar und spalten die Menschheit seitdem in zwei Lager: ihre treuen Fans, liebevoll Sklaven oder „Gwarriors“ genannt, und ihre erbitterten Kritiker, die auch beim Konzert am Sonntag einiges Futter für ihre Hasstiraden bekommen konnten.
Es ist für zarte Seelen oder einfach nüchterne Menschen schwer nachvollziehbar, wie ein Konzert gefallen kann, in dem schon in der ersten halben Stunde mehre Köpfungen vorgenommen werden und eine masturbierende Hitler-Puppe verprügelt wird. Des Weiteren bekommen im Laufe der 90 Minuten der Papst, Osama Bin Laden, ein Polizist und der Herrscher der Unterwelt persönlich ihr Fett weg. Dagegen sind die Kontroversen um die „Schocker-Finnen“ Lordi beim Eurovision Song Contest und die gekreuzigte Madonna geradezu putzig. Auch ein George W. Bush-Imitat wird vom Sänger und Chef-Henker Oderus Urungus mit kühnem Schwertschlag gerichtet und erblutet sich ausgiebig ins Publikum. Lecker. Die eingeweihten Fans vor der Bühne haben sich vor dem Konzert vorsorglich in strahlend weiße T-Shirts geworfen, die zum Ende der Performance eine Färbung haben, die den „Weißen Riesen“ in den Selbstmord treiben würde.
Um dieser Konzert-Kritik einige musikalische Ausführungen beizumengen: der dröhnende und wahnsinnig laut abgemischte Metal, den die Monster-Puppen fabrizieren, ist schwer einzuschätzen. Auf ihren letzten beiden Platten haben sich ja die Schrammler der 90er ganz ordentliche Metal-Manieren angewöhnt, doch was live aus der Soundwand herausprescht, ist ein Brei, der nur mit unsauberen Soli notdürftig warmgehalten wird. Auch die Texte, die traurigerweise erst nach dem 11. September 2001 Qualitäten annahmen, die zumindest vereinzelt Gehirnzellen unter den Latex-Masken vermuten ließen, gingen im Splatter-Gewitter komplett unter.
Nach der Show schwirren viele Fragen im Kopf herum: Schließen sich „geschmacklos“ und „unterhaltsam“ prinzipiell aus? Was für Zeug schmeißen Gwar ein, wenn sie Konzert-Konzepte entwerfen? Bekomme ich das Kunstblut jemals aus der Jeans gewaschen? Kann ein Journalist Gefahrenzulage für die Berichterstattung eines Gwar-Konzertes verlangen? Wer muss die Sauerei jetzt aufwischen? Beim Hinausgehen muss dann doch noch einmal Faust ran: „Hier ist des Volkes wahre Hölle“, verhunzt man im Kopf beim Blick zurück zur riesigen Blutlache. So ernst sollte man die Gummipuppen mit ihren Spielzeugschwertern aber lieber nicht nehmen. Christoph Henkel
Christoph Henkel
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