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Kultur: Moralisches Theater

Elefantenmensch-Inszenierung der Comédie Soleil

Stand:

Elefantenmensch-Inszenierung der Comédie Soleil Nach einem nicht so glücklichen Entree der musikalisch/darstellenden Art im Oktober präsentierte die Comédie Soleil am Freitag ihre zweite Potsdamer Produktion, mit weniger Zuschauern zwar, dafür mit viel mehr Substanz. In nur drei Wochen hatte das Team um Michael Klemm den „Elefantenmenschen“ von Bernard Pomerance einstudiert. Das vielschichtige Stück handelt von Aufstieg und Ende einer monströs geborenen Kreatur und ihrem vermeintlichen Wohltäter, dem Chirurgen Dr. Treves zu Ende des 19. Jahrhunderts. Eingangs trifft man John Merrick (Klaus Heindl in einer sprachlich gut gefüllten Rolle) als Schauobjekt auf einem englischen Jahrmarkt an. Er ist hydrocephalitisch (Maske Edwin Erfmann), dazu am ganzen Körper mit wildwachsendem Fleisch bedeckt. Der Arzt (Michael Klemm) handelt ihn dem Schausteller Ross (Horst Wüst) ab, bringt ihn in die Klinik, um seine Krankheit „zu studieren“. Er will ihn gar gesellschaftsfähig trimmen, bis der Ärmste selber glaubt, er sei gesund, was die Inszenierung leider etwas vernachlässigt. Die Sache wird in medizinischen wie in Gesellschaftskreisen bekannt: Als einer, der so „ganz anders“ ist, gewinnt er bald die Aufmerksamkeit der sensationsgierigen Society. Zu seinem Erhalt werden Krankenhaus-Chef Gomm (Christian Hiemer, völlig indifferent) gar zusätzliche Mittel gewährt. Merrick, mit schwergängiger Atmung und Knacklaut in der Stimme, verliebt sich mehr als platonisch in die Schauspielerin Kendall (Nadja Winter), wobei er sich als Feingeist erweist. Als sie ausbleibt, tut er das, was die Medizin ihm verbot: Er legt sich wie ein Gesunder zu Bett. Sein schwerer Wasserkopf drückt ihm die Luftröhre ab, Exitus. Wieder lagen eine wichtige Rolle und die Regie des eiligen Werkes in den Händen von Theaterchef Klemm. Unverändert lässt er über die ganze Breite der Bühne spielen. Das Szenenbild von Peer Teichmann erinnerte also notgedrungen an „Moon over Hollywood“. Vielleicht findet man in den Variablen dieses Raumes noch andere Lösungen. Wünschenswert wäre das, denn diese Geschichte wird weitgehend schlüssig und spannend erzählt. Unter Vernachlässigung von Schauspielerführung und szenischer Phantasie gab sich der Wille nach gutem und – für Potsdam wichtig – „moralischem Theater“ zu erkennen. Was der Autor etwa über Regeln, Gott und die Welt sinniert, gewann, bei dezent unterlegter Musik, breite und ruhige Gestalt. Gut. Vielleicht der 3-wöchigen Knüppelei geschuldet, blieb trotzdem vieles ungelöst, das Motiv des längst sterbenskranken Protagonisten zum Freitod, die wahre Haltung des vermeintlich uneigennützigen Arztes (trotz kritischer Aussagen zum Manchester-Kapitalismus), dazu ein Bischof (Marc Marchand), welcher über das szenische Dasein an sich nicht hinauskam. Auch Erwin Völger (Krankenhausdiener, Polizist) war mehr Statist als Figur. Klemms Personage neigt selbst in historischen Kostümen zur Einschichtigkeit, man zeigt, was man sagt, Subtexte, wie sie sich in dem (verfilmten) Stück überall anbieten, fehlen zu oft. Schade, bei Pomerance ist jede Figur gut theatralisch im Recht und ausbalanciert. Warum baut der Elefantenmensch ausgerechnet ein Kirchenmodell, wie man es von Severus und Augustinus kennt? Untersucht der Arzt auch den Kranken? Zum Schluss eine schöne Erfindung: Die Regie reißt noch einmal wichtige Szenen als Standbilder an. Ein sehenswertes Stück, eine verbesserungswürdige Inszenierung.

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