Kultur: Moritat und Musikclip
Musikleistungskurs des Helmholtz-Gymnasiums inszeniert die Dreigroschenoper im Nikolaisaal
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Die große Bühne des Nikolaisaals ist ganz in Schwarz getaucht, schwarze Autoreifen liegen herum. Hinter einem bühnenhohen Vorhang erscheinen die ebenfalls schwarzen Schemen der Musiker und des Dirigenten. Eröffnet wird die „Dreigroschenoper“ mit einer Großaufnahme des Berliner Fernsehturms, von unten gesehen. Ein ebenso klares wie symbolisches Zeichen, das zeigt wo und wann die frappierende Inszenierung des Musikleistungskurses des Helmholtz-Gymnasiums angesiedelt ist, in der Gegenwart der knapp 20-jährigen Schüler.
Als Arbeiter im Blaumann und als leicht bekleidete Mädchen mit Kinderbuggys eilen sie über den düsteren Platz. Am Rande steht der Bänkelsänger und singt zum Klang des Akkordeons die unsterbliche Ballade von Mackie Messer. Begeisterter Schlussapplaus belohnt diese großartige Aufführung von Bertold Brechts und Kurt Weills Welterfolg. Mit hinreißender Musikalität, originellen theatralischen Ideen und lebensvoller Darstellungskraft stellt sie viele Profi-Inszenierungen der letzten Zeit in Potsdam und Berlin in den Schatten.
Ohne aufgesetzte Zeigefinger oder angestrengtes Winken mit pädagogischen oder politischen Zaunpfählen konzentriert sich diese Inszenierung (Regie: Tino Hillebrand) des Helmholtz-Gymnasiums auf das Wesentliche: Musik, Gesang und Theater. Und sie kommt damit genau dort an, was Schiller einst als Ziel und Zweck des Theaters postulierte: dass der Mensch sich einzig im Spiel vollenden könne.
Schon das genial einfache Bühnenbild (Leistungskurs Kunst) erfüllt viele Zwecke, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Die variablen Autoreifen dienen als Sitz-, und Liegeflächen, aus dem durchgängigen Schwarz der Bühne leuchten die Gesichter, Figuren und trefflichen Kostüme umso bunter hervor.
Jenseits von Idealen und Verklärung zeichnet Brecht einen schön-bösen Kosmos, wo jeder letztlich käuflich ist. Wie im klassischen Drama kämpfen zwei Gegensacher, der virile Macho und Räuberhauptmann Macheath und Peachum, erfolgreicher Manager einer Belegschaft von Bettlern, um die Macht. Dass die Frauen allesamt Huren sind, intrigant, eifersüchtig und mindestens ebenso boshaft wie die Männer komplettiert die zynische Antiwelt, in der der Mensch des Menschen Wolf ist. Doch die Schüler nehmen die provokante Antimoral der Texte nicht allzu ernst – verzichten sogar auf den berühmten Bankraubspruch – , sondern als Anlass für freche Sketche, hinreißende Musiknummern und offene Fragen.
Parodie und Travestie finden sich schon reichlich in der Musik von Kurt Weill, die alles durch den Kakao zieht, was dem Spießbürger heilig ist, vom Kirchenchoral bis zur Opernarie. Wenn dann noch der Erzähler (Dieter Rauchfuß) mit Weihnachtsmannstimme aus dem Off den Handlungsfaden zusammenspinnt, verbinden sich mittelalterliche Moritat und moderne Musikclipästhetik zu einer fesselnden Dreigroschen-Revue.
Gleich vier sowohl spielerisch als auch gesanglich hervorragende weibliche Darstellerinnen führen das Ensemble an. Frau Peachum wird von Celia Stern als verkommene Säuferin gespielt, die auch mal energisch ihrer eigensinnigen Tochter Polly den Marsch bläst. Polly wiederum wird von Ines Goskowitz als verliebtes und verzogenes Girlie gegeben. Zu einem Höhepunkt gerät ihr Eifersuchtsduett mit Lucy (Marie Könemund), mit hervorragendem Gesang und passgenauer Musik. Die Rolle der Seeräuberjenny findet bei Laura Nausedat eine beeindruckende Darstellerin. Großartig, zwischen sentimental und lasziv gelingt das Duett mit Mackie Messer, auch der Salomon-Song überzeugt mit feiner Artikulation.
Die Rolle des Mackie Messer spielt Tilman Alder mit Nonchalance, noch etwas unscharf, dafür singt er umso besser mit jugendlichem Bariton. Seinen Widersacher Peachum spielt Tino Hillebrand energisch und gesangsstark. Großes Lob verdient auch Helgert Weber für diese hervorragende musikalische Einstudierung. Die Schüler des Helmholtz-Gymnasiums haben mit ihrem einjährigem Arbeitseinsatz einmal mehr für einen großen Erfolg gesorgt. Babette Kaiserkern
Letzte Aufführung heute um 19 Uhr im Nikolaisaal Potsdam.
Babette Kaiserkern
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