Kultur: „Mozart flüstert mir ins Ohr: Mach’ es so“
Achim Freyer über seine Pläne für die Schiffbauergasse, das unverdorbene Potsdamer Publikum und den Ort, für den seine Bilder gemalt sind
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Achim Freyer über seine Pläne für die Schiffbauergasse, das unverdorbene Potsdamer Publikum und den Ort, für den seine Bilder gemalt sind Sie wollten schon vor mehr als zehn Jahren nach Potsdam kommen. Was hatten Sie vor? Ich war mitten in der Professur an der Hochschule der Künste in Berlin und hatte vor, eine neue Fakultät zu gründen. Eine, die Regisseure, Schauspieler, Bühnenbilder, Kostümbildner und Dramaturgen in einem ausbildet. Ich suchte für diese Fakultät einen Ort mit Bühne, mit Gästehäusern, großem Restaurant, mit Ballett und Probensaal – und habe das alles auf Anhieb in Potsdam gefunden. Ich war gerade mal über die Glienicker Brücke, und schon war links die Schiffbauergasse mit ihrem Gasometer. Das Hauptgebäude hatte Kräne, die so stabil gewesen wären, dass man sogar das Publikum um ein Theaterstück herum hätte fahren können. Und einen wunderbaren Saal mit einer Fassade zum Wasser hin, die wirklich wie ein Theater gebaut war. Hinter diesem Gebäude war ein großer Ballettsaal, etwas erhöht, ideal in den Maßen. Dann waren dahinter viele Gebäude zum Wohnen und für Unterricht, eine ganze Abteilung für die Verwaltung, ein langgestrecktes aus Brettern gebautes Restaurant, bei dem mir sofort die Überlegung kam, dass die Schauspieler jeden Abend Vorstellungen darin geben sollten und in der Pause auf Rollschuhen die Gäste bedienen. Was hätten Sie dort gespielt? Stücke habe ich mit meinem Ensemble in einer Vielseitigkeit entwickelt und aufführungsreif gehabt – das waren unglaubliche Voraussetzungen. Mit dieser Euphorie bin ich dann über die Hochschule an Manfred Stolpe herangetreten. Doch diese Leute von der Regierung waren derartig verunsichert über den Vorschlag, dass sie ihn sofort weiterleiteten an die Fachleute vom Hans Otto Theater. Was passierte dann? Es kam die lakonische Ablehnung dieser Idee, mit der Begründung, dass die Schiffbauergasse ein zu entsorgendes Gebiet sei – das sehe ich ja ein, da es sicher vergifteten Boden hatte – und der Frage, wie denn die sanitären Einrichtungen seien. Das war ein Hauptargument. Es gab natürlich wirklich keine Toiletten, aber die gibt es ja frei zu kaufen und man hätte eine ganze Stadt sanitärer Einrichtungen dazu bauen können. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie gehört haben, dass die Schiffbauergasse Potsdams neuer Kulturstandort ist? Das habe ich gar nicht gewusst. Ich habe da nie wieder hingeguckt, weil ich mich so geärgert habe. Ist denn, auch wenn die Schiffbauergasse nun besetzt ist, die Idee von damals für Sie passé? Jetzt kann ich das nicht mehr, ich bin nicht mehr Hochschullehrer, sondern längst Rentner und habe so viel zu tun im Theater und will hauptsächlich malen – das wäre mir jetzt zu hart. Vor zehn Jahren hätte ich die Kraft noch gehabt. Aber heute fehlt mir die Rückendeckung. Es wäre natürlich auch eine Konkurrenz für das Hans Otto Theater geworden, was ich sehr gut fände. Wenn es eine Konkurrenz für das HOT gäbe? Das ist wichtig. Wenn Potsdam Kulturhauptstadt werden will, braucht die Stadt auf allen Gebieten Konkurrenz, sonst kann sich nichts entwickeln. Berlin ist nicht die Konkurrenz, das ist ein völlig anderes System, ein anderer Ausdruck. Man kann auch nicht Berlin und Potsdam mischen, da Gastspiele austauschen. Das muss viel markanter sein in Potsdam. Sie haben das Stichwort genannt: Kulturhauptstadt. Welche Chancen hat Potsdam auf den Titel? Da bin ich wirklich überfragt. Aber ich würde jede Initiative, die sich für Kultur einsetzt und ein Niveau schaffen will, was einer Hauptstadt würdig ist, unterstützen. Ich glaube, wenn es Menschen nicht als Auftrag machen sondern aus innerem Bedürfnis, wird es gelingen. Potsdam ist kulturell so aufregend durch seine Lage, durch die vielen Bauwerke. Es liegt in solcher Nähe zu einer Großstadt und hat trotzdem völlig eigenen Charakter, Ausdruck, ein eigenes Gesicht. Ich glaube, es wird einmal die Stadt werden bei Berlin, die Ausweich-Stadt, in der viel mehr musische Dinge Platz haben als in dem eingefahrenen Berlin. Wie haben Sie es empfunden, als in der Villa Kellermann Ihre Ausstellung eröffnet wurde – und Sie kein Vertreter der Stadt begrüßt hat? Wenn ich in Berlin oder irgendwo anders eine Ausstellung mache, dann kommt auch keiner von der Stadt und begrüßt mich. Insofern ist Potsdam schon eine wirkliche Großstadt. Aber ich fand die Resonanz auf die Ausstellung unglaublich positiv, es kommt eine ganz andere Art von Publikum als ich es aus Berlin kenne. Wie anders? Es ist ein Publikum, das aus Interesse zur Kunst kommt und nicht eines, was sich in Kunstszenen immer zeigt und sich daran aufspielt und wichtig macht. Das ist eine Unart, dass viele Leute nur kommen, um Verbindungen zu machen. Hier haben die Leute wirklich Bilder angeguckt, sind durch die Etagen gegangen, ganz still manchmal mit sich und einem Bild beschäftigt. Ich habe das Gefühl, es war ein unverdorbenes Publikum. Woher kommt das? Vielleicht hat es mit der DDR-Vergangenheit zu tun, mit einer Neugier und der Fähigkeit zu lesen, was Kunst sagen will. Wir hatten früher in der DDR den Zustand, dass Theater fantastisch war, denn die kleinen Pointen und Kritikpunkte gegen unsere Gesellschaft waren riesengroß. Weil das Publikum ganz hellhörig war. Im Westen konntest du brutale, radikale Sachen sagen und die Leute haben genickt – es hatte keine Wirkung. Die Unverdorbenheit hat sich erhalten? Ja, im positiven Sinne. Dass man wissen möchte, was man da sieht und hört. Ich bin gespannt auf die Aufführung, die wir morgen Abend machen. Es ist ein sehr strenger Text, den ich entwickelt habe aus Zitaten, Aufsätzen, Stücken von den Exzentialisten um Giacometti. Doch am 18. Februar wird Ihr Spielort, die Villa Kellermann, zwangsversteigert. Was sollte mit ihr passieren? Ich finde, dass die Proportion der Räume sehr klug ist, sehr spannungsvoll, dass das Haus einen öffentlichen Ausdruck hat. Das Treppenhaus ist ein sehr gutes Entrée. Die Vielfalt der Zimmerschnitte würde zu vielen Überlegungen Anlass geben. Ich kann mir vorstellen, dass die Villa für Ausstellungen und Theater brauchbar ist. Viel intimer wäre aber, wenn Künstler sich hier treffen könnten, wenn es Wohnmöglichkeiten gäbe und ein Stipendium, wenn die Dichtung und die Musik eine große Rolle spielen könnten in diesem Haus. Das ist alles gewesen in der Geschichte dieser Villa, nicht umsonst. Es ist ein besonderer Ort. Das hat Sie überzeugt, hier auszustellen? Es war die Idee meines Galeristen Manfred Giesler, und mich haben die Räume überzeugt, aber auch der Betreiber des Restaurants in der Villa, Maximilian Dreier. Ich bin sehr begeistert, wie die Bilder aufgenommen werden in diesen Räumen. Ich hatte nicht erwartet, dass sie so einwachsen in das Haus. Das geht auch oben in den nicht gestalteten Räumen mit Wasserflecken, merkwürdigerweise. Hier ist, wofür Bilder gemalt sind. Dass man nicht eine große Distanz herstellt, sondern mit ihnen ein bisschen lebt und atmet. Dass die Bilder hier hängen, ist ein kleiner Anstoß, dass die Villa kulturell genutzt bleibt. Es ist mein Beitrag, es zu versuchen. Sie sagen, Sie malen lieber als Theater zu machen. Warum? Alles andere mache ich nur nebenbei, tägliches Malen muss sein. Ich komme da an die Wurzeln heran, wo ich mich suche und finde. Mit der Malerei ist man ganz allein, das ist schwerer, aber man kann anarchistischer sein, unverantwortlicher. Theater ist auf die Stunde genau, nicht nur zur Premiere, sondern täglich. Warum inszenieren Sie trotzdem rund um die Welt? Man macht es mir leicht, man holt mich ins Theater, und ich sage fast alles ab, aber trotzdem wird es soviel. Ich inszeniere auch nur Opern von Komponisten, die ich fühle, die zu mir gehören. Mozart ist immer bei mir, er hilft mir so unglaublich, wenn ich nicht weiter weiß. Er flüstert mir ins Ohr: Mach’ es so. Das stimmt dann. Das Interview führte Sabine Schicketanz
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