zum Hauptinhalt
Standhaftigkeit ist für sie keine Floskel. Die Mezzosopranistin Bettina Ranch als Giuditta (Judit) bei den Proben für „Betulia liberata“ in der Friedenskirche Sanssouci.

©  Stefan Gloede

Kultur: Mozarts treffsichere Empfindungen

Antonello Manacorda dirigiert die Potsdamer Winteroper „Betulia liberata“ in der Friedenskirche

Stand:

Judit ist eine gottesfürchtige Witwe. Sie ist reich, verfügt über Gold und Silber, gebietet über Knechte und Mägde, besitzt Vieh und Felder. Die Witwe lebt in Betulia, das an einer Passenge im Bergland von Judäa liegt. Sie dürstet nicht nur wie die Miteingeschlossen der Stadt nach Wasser, sie dürstet nach Leben. Holofernes, ein Feldherr des assyrischen Königs Nebukadnezars, der im 6. Jahrhundert vor Christus regierte, hat die in der Bergfestung belagerten Juden von jeglicher Wasserversorung abgeschnitten. Er wartet nur darauf, dass auch sie endlich ihre Stadt dem Assyrer übergeben. Doch der kriegerische Herrscher macht die Rechnung ohne die gesetzestreue und gottesfürchtige Judit. Sie geht ins feindliche Lager, verbringt bei und mit Holofernes fünf Tage und Nächte. Und kehrt zurück mit seinem Kopf. Betulia ist befreit. In den Apokryphen des Alten Testaments findet man die historisch nicht verbürgte Geschichte. Maler, Dichter und Komponisten haben sich bis in unsere Tage hinein mit der von Fantasie beflügelnden Geschichte beschäftigt. Blut und Erotik, dazu noch Religion, scheinen sich darin zu mischen und für viele Künstler spannend zu sein.

In der Friedenskirche Sanssouci wird ab kommenden Freitag Judits und Holofernes‘ Geschichte erzählt. Wolfgang Amadeus Mozarts Azione sacra „La Betulia liberata“ hat man aus den zahlreichen Versionen gewählt und wird sie im Rahmen der Potsdamer Winteroper in Szene setzen, zu der sich auch in diesem Jahr wiederum die Kammerakademie Potsdam und das Hans Otto Theater traditionell zusammenfanden. Leider sind vorerst nur vier Vorstellungen geplant.

Wolfgang Amadeus Mozart, der sich mit seinem Vater Leopold wieder auf einer Italienreise befand, machte Station auch in Padua. Der Adel wollte ihn nicht nur im Konzert hören, sondern beauftragte ihn, den Text Pietro Metastasios zu „La Betulia liberata“ (Das befreite Betulien) zu vertonen. Das Libretto schien im 18. Jahrhundert ein Hit gewesen zu sein, denn auch Komponisten wie Josef Mysliveÿek, Giuseppe Calegari oder Niccolo Jommeli haben sich dessen angenommen. Mozart schrieb die Musik 1771. Da war er 15 Jahre alt und dem Wunderkindalter entwachsen. „Das Werk, das ein Zwitter zwischen Oratorium und Oper ist, kann sich, trotz der Jugend des Komponisten, überraschend einer großen Reife rühmen“, sagt Antonello Manacorda, Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam, in einem Gespräch. „Es war schon lange mein Wunsch, ,Betulia liberata‘ aufzuführen. Nun erfüllt er sich. Und dazu noch in diesem wunderbar klaren sakralen Raum wie die der Friedenskirche im Park Sanssouci mit ihrem großartigen Mosaik aus dem 13. Jahrhundert im Altarraum und der exzellenten Akustik. Ich fühle mich dort wie in meiner italienischen Heimat“, schwärmt Manacorda, der in diesen Tagen in der Friedenskirche für die Premiere probt.

„Die Friedenskirche ist natürlich für die Darstellung von biblischen Themen ein geeigneter Ort“, so der Chefdirigent. Er erinnert an die Aufführungen des Händel-Oratoriums „Jephta“ im vergangenen Jahr in diesem Raum, über die das Publikum und die Presse viel Rühmendes gesagt und geschrieben haben. Nicht umsonst ist die Inszenierung im kommenden Jahr zu den Wiener Festwochen eingeladen.

Die Musik von „Betulia liberata“ hat eine immense Energie, sagt Antonello Manacorda. „Mozart steht in der ,Azione sacra‘ einerseits noch mit einem Fuß in der barocken italienischen Musiktradition, die Affekte wechseln sich ab wie die Arien und Rezitative. Doch auch das eigene musikdramaturgische Empfinden blitzt hervor, und Mozart wagt es, die starre Da-capo-Form zum Wohle des dynamischen Ausdrucks zu durchbrechen“, so Manacorda. „Schon allein die dreiteilige Ouvertüre sorgt für Überraschung. Man wird in die Geschichte sofort mit hineingenommen. Das schwere d-Moll-Allegro beschreibt den Druck des Volkes von Betulia durch den assyrischen Tyrannen, das anschließende Andante ist von Traurigkeit bestimmt und das abschließende Presto gibt sich kämpferisch.“ Das Orchester hält während der Azione den jeweiligen Rollen besondere Farben bereit. Und immer wieder kommt Manacorda auf das jugendliche Alter Mozarts beim Komponieren von „Betulia liberata“ zu sprechen. „Das ist und bleibt ein Rätsel. Mit welcher wunderbaren Psychologisierungskunst, treffsicheren Empfindungen er die jeweiligen Partien bedachte, davor kann man nur den Hut ziehen.“

Antonello Manacorda ist glücklich über die Zusammenarbeit mit seinem Orchester, das für Mozart den richtigen Ton findet, aber auch mit den Solisten wie Bettina Ranch als Giuditta (Judit), Robin Johannsen oder Istvan Kovacs. Inszeniert wird das Ganze von Jakob Peters-Messer, der als Regisseur in Potsdam kein Unbekannter ist.

„Trotz des Horrors, von dem die Geschichte erzählt, steht in der Inszenierung der Mensch, die Humanität im Mittelpunkt“, sagt Antonello Manacorda. Zwei Fragen könnten in der Inszenierung interessant werden: Hat in Zeiten von religiösem Terrorismus Judit Züge einer Fanatikerin oder ist sie eine Gottesfürchtige, die ihr Schicksal in Gottes Hände legen will? Und: Ist Tyrannenmord legitim?

Die Premiere am Freitag ist ausverkauft. Für die drei weiteren Vorstellungen am 29. November, am 5. und 6. Dezember, jeweils 19 Uhr, in der Friedenskirche Sanssouci sind noch Restkarten verfügbar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })