Kultur: Multikultureller Themenpark
Uraufführung am Hans Otto Theater I: „Die Satanischen Verse“ nach Salman Rushdie
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Terroristen entführen ein Flugzeug, sprengen es in die Luft. Wunderbarerweise überleben zwei Passagiere, Gibril Farishta und Saladin Chamcha. Die beiden vom Himmel Gefallenen landen mitten in unserer multikulturellen, globalisierten Welt. Von Stund an sind sie schicksalhaft wie Faust und Mephisto miteinander verkettet. Als indische Immigranten in England leben sie zwischen Staaten, Sprachen und Kulturen, als Filmschauspieler kennen sie die alten und die neuen Wunderwelten, seien es Mythen, Religionen oder kommerzielle Fernsehwerbung – eine verführerischer und traumhafter als die andere.
Nachdem die Ankündigung der weltweit ersten Dramatisierung und Aufführung am Hans Otto Theater bereits im Vorfeld viel Aufsehen erregt hatte, war man gespannt, wie „Deutschlands mutigstes Theater mit den mutigsten Schauspielern“, wie eine Zeitung schrieb, mit diesem Stoff umgehen würde, der immerhin ein islamisches Todesurteil gegen den Autor hervorgerufen hatte. Selbst heute, 20 Jahre nach der ersten Publikation, besteht diese Fatwa noch und zwingt Salman Rushdie zum Leben unter permanenter Bewachung.
Um Sensationshascherei ist es Regisseur Uwe Eric Laufenberg nach eigenem Bekunden nicht gegangen. Für ihn resultierte die Beschäftigung mit Rushdies Roman aus seinen Reflexionen zur Neuinszenierung von Goethes Faust. An die Stelle des ursprünglich vorgesehenen Faust II setzte er schließlich die dramatisierte Fassung der Satanischen Verse, die ihm als passendere Fortsetzung der alten Geschichte erschienen.
In der Tat frappieren die Parallelen zwischen beiden Werken. Hier wie dort wird Welttheater entworfen, eine schier unübersehbare Folge von Ereignissen und Reflexionen behandelt, die an die Grundfesten von Moral und Gesetz, von Sitte und Gesellschaft rühren. In beiden Werken bilden Engel, Teufel und Menschen das Personal. Doch bei Goethe sind die Identitäten fest verankert – einschließlich der zwei Seelen in Fausts Brust – , er wird vom Willen bestimmt, sein Erkenntnisdrang führt ihn ins Verhägnis. Gibril und Salman irren dagegen als multiple Personen durch Rushdies Weltpanoptikum, sind Engel und Teufel, Prophet und Dichter. Sie sind vom Himmel gefallene Wesen und Überlebende zugleich, was ihnen eine existenzialistische Note verleiht. Während Goethe im idealistischen Überschwang seiner Zeit seinem geschundenen Protagonisten noch Himmelfahrt und quasi religiöse Erlösung gewährte, ja selbst den Teufel errettete, bleibt in Rushdies Roman alles offen.
Wohin kritisch-aufklärerischer Wissensdrang führen kann, hat Salman Rushdie nach dem Erscheinen der „Satanischen Verse“ am eigenen Leib erfahren. Dabei stellte er „nur“ in bester westlicher Tradition, unter Berufung auf Gedanken- und Meinungsfreiheit, einige der letzten Dogmen unserer Zeit in Frage. So ähnlich befragten schon die Aufklärer vor 250 Jahren die Allmacht des Christentums. Ist Rushdie der Voltaire unserer Zeit? Wie dieser unterzieht er die Allmacht der Religion einer kritischen Diskussion, nur dass es diesmal der Islam ist.
Der Westen hat inzwischen mehr oder weniger gelernt auch mit den negativen Früchten der Aufklärung, mit all den Widersprüchen, Zweifeln und Negationen, zu leben. Dazu leistet das Hans-Otto-Theater mit seiner grundsoliden Inszenierung einen Beitrag. Schon die Kondensierung von Rushdies über 500 Seiten starkem Text auf 100 Seiten (Fassung: Uwe Eric Laufenberg und Marcus Mislin) ist ein Kunststück. Rushdies rasantes Pastiche mit Figuren, Zitaten und Ideen aus mehreren Jahrtausenden westlicher, islamischer und hinduistischer Kultur wird mit nüchterner Klarheit zerlegt. Dabei bleibt das intensive Bemühen um lebendiges, bühnenwirksames Geschehen stets spürbar.
Dennoch wird es für einen unvorbelasteten Zuschauer nicht einfach sein, sich in Rushdies zerrissenem, fragmentarischen, mehrdimensionalen Universum zurechtzufinden. Es werden mehr Fragen gestellt als beantwortet. Dekonstruktion lautete das Stichwort am Ende des 20. Jahrhunderts, als Rushdies Roman entstand. Wiedergeburt oder Auferstehung, Zivilisation oder Barbarei, Glaube oder Freiheit, Leben, Tod und, selbstredend, Liebe – alles geht, alles gibt es in diesem kunterbunten Themenpark der Ideen.
Nicht zuletzt das riesige Engagement aller Schauspieler trägt dazu bei, dass selbst trockene Reflexionen über Gut und Böse, Glaube und Religion, Schuld und Vergebung deutlich werden. Robert Gallinowski spielt Gibril Farishta und Mahound mit großen Gebärden, die stets einen satirischen Unterton und eine geradezu philosophische Distanz bewahren. Sehr emotionale Züge verleiht Tobias Rott dem armen Teufel Saladin, doch seinem Dichter Baal fehlt es an kalter Hybris. Toks Körner steckt voller Spiellust im Monolog des Persers, Roland Kuchenbuch spielt Abu Simbel und den Vater listig durchtrieben. Caroline Lux windet, rekelt und schlängelt sich mit körperbetontem Spiel, Anne Lebinsky faucht in akkuraten Ausbrüchen, zuverlässig und präsent, Rita Feldmeier brilliert gleich in vier verschiedenen Rollen. Ein sehr dezentes Bühnenbild (Matthias Schaller) und unauffällige Kostüme (Nina Lepilina) befördern das Spiel der Worte ungemein.
Mit der Inszenierung von Salman Rushdies umstrittenen Roman „Die Satanischen Verse“ ist das Potsdamer Hans-Otto-Theater in der Gegenwart angekommen. Es hat dabei einen Volltreffer gelandet, aus großer Fallhöhe und wunderbarerweise ganz ohne Blessuren. Nächste Vorstellung: 2.4, 19.30 Uhr
Babette Kaiserkern
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