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Kultur: Multiplikation des Heterosexuellen Die Lust am weiblichen Körper: Dritte Ausstellung von Hans Scheuerecker in der Galerie Sperl

DJ Westbam sagte kürzlich, die Anziehungskraft von Clubnächten liege im Sex. Maximilian Lenz alias Westbam zog in den 80ern als Teenager vorzugsweise durch Schwulenläden.

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DJ Westbam sagte kürzlich, die Anziehungskraft von Clubnächten liege im Sex. Maximilian Lenz alias Westbam zog in den 80ern als Teenager vorzugsweise durch Schwulenläden. Nahezu gleichzeitig, aber weiter östlich jenseits der innerdeutschen Grenze war der Kosmos, zumindest offiziell, noch recht streng heterosexuell konnotiert. Auch in der Kunst. Gerhard Richter und A. R. Penck waren längst gegangen. Für jene, die in der DDR verblieben waren, bot sich aber trotz des neurotischen Sicherheitsapparates ein einmaliges Jahrzehnt der Revolte. Teils große Namen tun sich auf, Carlfriedrich Claus und Gerhard Altenbourg in etwa. Eine Generation später in Leipzig Hartwig Ebersbach, in Chemnitz Michael Morgner. Und in Cottbus – Hans Scheuerecker.

Scheuerecker, dessen Arbeiten seit Sonntag in Potsdam bei seiner dritten Ausstellung in der Galerie Sperl zu sehen sind, liefert einen tiefen Einblick in die Funktionsweise dieser frühen wie späteren Generation. Lange Zeit wurde von offizieller Seite in der DDR eine Art „staatlicher Realismus“ gepredigt. Das kritische Vermögen, das sich in der Absetzung von dieser realsozialistischen Versuchsanordnung formierte, griff im Wesentlichen auf das Inventar der sogenannten bürgerlichen Kunst der Vorkriegszeit zurück. Das betrifft die stark neoexpressive Einfärbung in den zeichnerischen Werken, die dem staatstragenden Duktus von Öl auf Leinwand wie eine Auflösungserscheinung vorkommen musste – die ungeheure Erotik der Verbindung von Untergrund und ästhetischem Widerstand ist kaum noch vermittelbar. Das betrifft aber auch die Vorstellung vom Leben als Künstler, der ganz in der Genievorstellung des 19. Jahrhunderts verhaftet war. Der in Cottbus lebende Schriftsteller Steve Sabor beschrieb das aktuell mit der Anlehnung an Jean Genet: der Dieb, der Trinker, der Maler. Man darf hinzufügen: der Erotomane. Vom authentischen Leben, vom „skandalumwitterten Lebensalltag“, von „orgiastischen Partys“, wie Jörn Merkert, bis 2010 Direktor der Berlinischen Galerie und eine Art kunsthistorischer Begleiter von Scheuerecker, es skizziert. Tatsächlich wird Scheuerecker gern in Zusammenhang mit jungen Frauen gebracht. Nicht zu vergessen die vermeintlich „geheimnisumwitterte Beziehung zu seiner Sklavin/ Freundin aus Abessinien, Machuba“.

Wie sehr das Phantasma der Grenzüberschreitung noch Wirkung erzielt, davon können sich Besucher in der Ausstellung „Der weiße Schal“ selbst ein Bild machen. Die Arbeiten sind im Vergleich noch flächiger, noch weniger malerisch geworden und lassen sich vermutlich ebenso schneller herstellen. Im Zuge der Strichmännchen-Symbolik führt der ehemals erste Brandenburgische Kunstpreisträger seine regelrechte Obsession an Köpfen und dem weiblichen Körper vor, der zuweilen stark auf sein Geschlecht fokussiert wird. Exemplarisch dafür die Bilder „Schwarze Figur“, „Akt“ und „Doppelmuschi“. Gemessen an den Genderdebatten der Gegenwart tritt hier eine klar konturierte, heterosexuelle Welt zu Tage, bei der sich der gesellschaftliche Widerstand letztlich als autoerotischer Gestus einer Biografie entblößt. Das könnte man auch zum Rock'n'Roll sagen: der Sex als Motor. Und das ist vielleicht die viel spannendere Frage in dieser Ausstellung, inwiefern wir einem Künstler-Typus begegnen, der am Sterben ist. Jemand, der die Höhe und die Tiefen aushält, der säuft, der auftrumpft, der flüchtet, der sich in seiner egomanischen Welt verliert und dem Kollektiv trotzt. Im Cottbuser Dieselkraftwerk ist es bislang auch wegen persönlicher Ungereimtheiten nicht zu einer Retrospektive gekommen. Die Quasi-Werkschau in den Räumen der Galerie Sperl mit ihrer ungestümen Anzahl und Hängung ist dagegen ganz Scheuerecker – sie verkörpert die Gier als einzige Strategie des Lebens.

Ralph Findeisen

Ralph Findeisen

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