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Kultur: Musenhöfe – von zarter Hand regiert

Bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci führen regierende Königinnen, eine Prinzessin und eine Herzogin musikalisch das Zepter

Bei den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci führen regierende Königinnen, eine Prinzessin und eine Herzogin musikalisch das Zepter Beim „gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten“ Leopold von Anhalt-Köthen vermeinte Johann Sebastian Bach seine Lebenszeit zu beschließen. Als der Fürst jedoch aus dynastischen Gründen eine „amusa“ aus dem Bernburgischen heiratet, geht''s es mit der Tonkunst bergab. Bach sucht darob das Weite. An anderen Höfen Deutschlands hat dagegen von Anfang an Mars das Sagen. Da wird nicht nur mit dem Säbel gerasselt, sondern selbiger auch geschwungen. Im Schatten ihrer amusischen Gatten führen dann die Angetrauten das Musenregiment. Sie handhaben eine poetische Feder, können singen und Instrumente spielen, komponieren, lieben das Theater, korrespondieren mit Gelehrten, parlieren in mehreren Sprachen Musenhöfe, die von zarter Hand regiert werden. In einigen Konzerten der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, die morgen in der Friedenskirche beginnen, werden musikalisch Musenhöfe vorgestellt. Im folgenden Beitrag machen wir mit musisch begabten Damen bekannt: Sophie Charlotte (1668-1705), Kurfürstin und erste Königin in Preußen, Christina von Schweden (1626-1689), Anna Amalia (1739-1807), Herzogin von Sachsen-Weimar sowie Frederika Sophia Wilhelmina von Preußen (1751-1820), Prinzessin von Oranje-Nassau. * * * „Hir ist nichts als operen undt commedien“, berichtet man immer wieder begeistert aus der brandenburgisch-preußischen Residenz. Das hiesige Musenklima ist weithin berühmt. Zu verdanken ist es Sophie Charlotte, seit 1684 mit Friedrich III. (späterem Friedrich I., König in Preußen) verheiratet. Verstand und Kunstsinn hat sie von ihrer Mutter, Sophie von Hannover, geerbt. Sie auch sorgt dafür, dass die Tochter einen umfassenden Unterricht erhält. Das Ergebnis: Sophie Charlotte spricht mehrere Sprachen, korrespondiert in Französisch. Von Gottfried Wilhelm Leibniz, Freund ihrer Mutter, wird sie mit religiösen und philosophischen Problemen bekannt gemacht. Sie spielt Cembalo, komponiert und verfügt über eine hübsche Stimme. Sie liebt das Intime und Geschmackvolle, Gatte Friedrich dagegen eher den „Zusammenklang von Glockengeläut, Kanonendonner, Trompetenschall und Paukenwirbel“. Sie mag das Gespräch mit Gebildeten und Gelehrten, favorisiert kammermusikalisches Musizieren, speziell von Piecen für zwei Singstimmen mit Clavicembalo-Begleitung aus der Feder von Agostini Steffani, Domenico Scarlatti, Alessandro Stradella und Arcangelo Corelli, dem Lieblingskomponisten von Königin Christine von Schweden. Der junge Händel weilt an ihrem Musenhof. 1697 kommen Giuseppe Torelli und Attilio Ariosti nach Berlin, fünf Jahre später ist es Giovanni Bononcini, von dem in Lietzenburg die Operneinakter „Polifemo“ (mit der Monarchin am Cembalo) und „Les Amours de Procris de Chéphalo“ zur Aufführung kommen. Beide Werke bedeuten die Krönung der Blütezeit des Lietzenburger Musiklebens, in dem die italienische Musik uneingeschränkt herrscht. Eine ständige Oper können sich die armen Hohenzollern nicht leisten. Allenfalls bei großen Festivitäten gibt es Singspiele, Lustballette (wie „La festa del Himeneo“), Possen und Maskeraden mit Musik oder eine Oper – etwa zu Königs Geburtstag das Ariosti-Opus „La fede ne Tradimenti“. Vom elterlichen Hofe wird ihr mit Sängern oder Bühnenbildnern ausgeholfen. „Der berühmte Bononcini sagte mir einst, daß ihre compositiones überaus accurat gesetzet wären“, weiß der englische Freidenker John Toland zu berichten * * * Der protestantische Held des Dreißigjährigen Krieges, der schwedische König Gustav Adolf II., ist tot, gefallen 1632 in der Schlacht von Lützen. Nun wird seine erst sechsjährige Tochter Christina unverhofft Königin. Nur nominell, denn Kanzler Axel Oxenstierna übernimmt für sie die Vormundschaftsregierung. Beizeiten lernt die künftige Regentin Intrigen zu durchschauen, sich ein eignes Urteil zu bilden – und zu schweigen. Kaum volljährig geworden, übernimmt sie die Regierungsgeschäfte. Die religiöse Toleranz erklärt sie dabei zum Grundsatz ihrer künftigen Politik. Engagiert setzt sie sich für die Beendigung der Kriege Schwedens mit Dänemark und in Deutschland ein. An den Hof zieht sie Dichter, Musiker, Künstler und Gelehrte (u. a. Descartes). Ihr Interesse für höfische Feste, für Schauspiel und Ballett führt zur Berufung von französischen Instrumentalisten, dann erscheint sogar eine italienische Operntruppe von 16 Personen unter Leitung von Vincenzo Albrici. Dessen „Fadher war“ (Vater unser) ist das älteste erhaltene größere musikalische Werk mit schwedischem Text. Die Königin führt einen regen wissenschaftlichen Briefwechsel, trägt im Laufe der Jahre eine prächtige Münz-, Antiken- und Gemäldesammlung zusammen. Vom Volk wird sie deshalb der Verschwendungssucht geziehen. Der Adel mokiert sich über ihre Günstlingswirtschaft, die Geistlichkeit stößt sich an ihrem Umgang mit Jesuiten. Der Querelen überdrüssig, dankt sie anno 1654 ab. Sie pilgert nach Rom, konvertiert zuvor zum Katholizismus. In der Ewigen Stadt, dessen süßes Leben sie ausgiebig genießt, ist sie der Mittelpunkt der geistlichen und gelehrten Kreise. Sie gründet die „Accademia clementina o reale“, aus der später die „Arcadia“ hervorgeht. Ihr Palazzo Riario wird zu einem musikalischen Zentrum. Es vergeht kein Tag ohne die vorzüglichste Kammermusik. Sie liebt und fördert Arcangelo Corelli, der ihr zum Dank sein erstes Opus (Zwölf Kirchensonaten) widmet. Der Sizilianer Alessandro Scarlatti ist für einige Jahre Maestro di Capella der Königin. Sie protegiert Maler, Bildhauer, Dichter, Komödianten, Sänger. Sie alle betrauern den Tod der als „Pallas nordica“ gepriesenen königlichen Mäzenin. * * * Ihre Bibliothek ist genauso berühmt geworden wie ihre Musikaliensammlung. Sie sind nicht nur Ergebnis einer langjährigen Sammelleidenschaft, sondern zugleich Kompensation jener Zurücksetzung, die sie am Hofe ihrer herzoglichen Eltern in Braunschweig erfahren hat. Überall fühlt sie sich hinter ihren Geschwistern zurückgesetzt. Dafür sucht und findet sie Trost in der Musik. Der Organist und Kammermusikus Friedrich Gottlob Fleischer legt ihr das Fundament einer soliden musikalischen Technik. 17-jährig vermählt sie sich mit dem ein Jahr älteren Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar. Der Ehe entsprießen zwei Söhne. Doch vor der Geburt des zweiten stirbt der junge Vater. Kaum 19-jährig, sieht sich Anna Amalia plötzlich als Vormund ihrer Kinder und Regentin eines ihr noch ziemlich fremden Staates. Bis zur Thronbesteigung des Erbprinzen Karl August führt sie mit diplomatischem Geschick die Regentschaft, ohne dabei ihre musikalischen und andere künstlerischen Interessen zu vernachlässigen. Von Konzertmeister Ernst Wilhelm Wolf lässt sie sich im Klavierspiel und in der Komposition unterrichten. In diesen findet sich viel vom weit verbreiteten italienischen Geschmack, aber auch eigene Intentionen. Ihre Musiken zu Goethes „Erwin und Elmire“ und „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ künden davon. Dennoch will Anna Amalia nicht mehr sein als eine Dilettantin, deren Beschäftigung mit Musik rein persönlicher Neigung entspringt. Sie schart einen Kreis von Amateuren und Musikern um sich, die die beste zeitgenössische Musik innerhalb der aufblühenden weimarischen Dichtkunst lebendig erhalten und ihr organisch verbinden. Johann Wolfgang von Goethe, seit 1775 in der Residenz tätig, wird zum Direktor des herzoglichen Liebhabertheaters berufen. Er bekommt diesbezüglich viel zu tun. Professionelle Unterstützung erhält die Truppe durch die Primadonna Corona Schröter, die Goethes Singspiel „Die Fischerin“ vertont. In den Soireen bei Anna Amalia wird nicht nur musiziert, sondern auch geistvoll debattiert. Johann Gottfried Herder und Georg Martin Wieland gehören zu diesem Zirkel. Bis zu ihrem Ableben nimmt sie am Weimarer Musikleben regen Anteil. * * * Wieder einmal gibt es in Berlin eine Hochzeit zu feiern. 1767 geben sich der 19-jährige Erbstatthalter der Niederlande, Willem V., und die 16-jährige Friederike Sophie Wilhelmine von Preußen, Nichte Friedrichs des Großen, das Ja-Wort. Sie ist dem gutmütigen, aber auch ziemlich entscheidungsschwachen Ehegatten eine zwar galante, dennoch energische Partnerin. Sie mischt sich in politische Angelegenheiten des Landes ein, wird von demokratisch gesinnten Aufständigen samt Gatten festgesetzt. Ihr nunmehr königlicher Bruder Friedrich Wilhelm II. lässt preußische Truppen aufmarschieren und schlägt den Aufstand nieder. Außerhalb dieser Wirrnisse geht es am Oranischen Hof in Den Haag zu wie andernorts auch. Durch die in Holland geübte Glaubensfreiheit gelangen auch viele Musiker in die Stadt. Virtuosenkonzerte sind an der Tagesordnung. Die Mozarts schauen bei ihrer Rückreise von England kurz vorbei. Christian Ernst Graf aus Thüringen wird Kapellmeister der Statthalterischen Kapelle, die aus etwa zehn „Cammer-Musici“ besteht und zu besonderen Anlässen bis auf fünfzig Mann verstärkt wird. Der böhmische Geiger und Komponist Friedrich Schwindl (1730-1786) schreibt seine Werke, darunter viele Sinfonien, in den Haag. Gleichzeitig entwickelt sich die Stadt zu einer Metropole des Musikverlags. Wilhelmina unterstützt die Oper, wobei das übliche Repertoire mit gastierenden Gesangsstars aufgeführt wird. Die portugiesische Diva Luiza Todi feiert genauso Triumphe wie Elisabeth Schmeling-Mara, Friedrichs des Großen erste deutsche Primadonna. Das Opernorchester besteht aus dem dirigierenden Geiger Malherbe und weiteren 18 Musikern. Reisende Operntruppen aus Italien und Deutschland sorgen für höfische Abwechslung. Nach der napoleonischen Besetzung ist für eine Weile Schluss mit lustig. Willem V. flieht mit Wilhelmina und den Kindern nach England. Er stirbt 1806 in Braunschweig. Sie erlebt noch, wie nach dem Wiener Kongress aus den Provinzen das Königreich der Niederlande gebildet und ihr Sohn zum König Willem I. gekrönt wird. Sie stirbt in Apeldoorn und wird zwei Jahre später in Delft zur letzten Ruhe gebracht.

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