Kultur: Musikalische Entdeckungsreise
Kevin Birch beim Internationalen Orgelsommer in der Friedenskirche
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Patriotisch war das Ende. Die Zuhörer in der Friedenskirche nahmen es am Mittwochabend gelassen. Begeistert waren sie jedoch von der Interpretation des Organisten Kevin Birch aus den USA, der das zweite Konzert des diesjährigen Internationalen Orgelsommers bestritt. Die Melodie zum Lied „Hail Columbia“, die erstmals 1789 zum Amtsantritt des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington angestimmt wurde, wird auch heute noch bei offiziellen Auftritten des US-Vizepräsidenten musiziert. Kevin Birch hat das Lied natürlich nicht 1:1 auf der Woehl-Orgel der Friedenskirche musiziert, sondern als Fuge. Sie ist Teil der Großen Sonate e-Moll, die sein Landsmann Dudley Buck 1866 komponierte. Der galt als einer der ersten ernst zu nehmenden Organisten in den Vereinigten Staaten, hat er doch sein Rüstzeug unter anderem in Leipzig und Dresden erhalten. Die e-Moll-Sonate ist ein abwechslungsreiches und insgesamt sonniges Werk, das mit fröhlichen, skurrilen, nachdenklichen und hymnischen Klängen im romantischen Gestus bedacht wurde. Es geht bei dieser etwas oberflächlichen Komposition um puren musikalischen Charme. Und so spielte sie Kevin Birch, indem er gar nicht erst versuchte, beschwerenden Hintersinn vorzutäuschen.
Das Konzert geriet zu einer liebenswerten musikalischen Entdeckungsreise. Mit den sechs Variationen zu dem stillen niederländischen Choral, die der Haarlemer Organist und Komponist Klaas Bolt (1927-1990) weitgehend in barocker Manier schrieb, sowie den original-originell wirkenden „Glocken“ des Franzosen Marcel Fournier (1899-1963), der in Orleans als Organist und Professor am Konservatorium tätig war, konnten die Hörer Orgelmusik kennenlernen, die in unseren Breiten kaum bekannt ist. Auch Matthias Weckmann, der Schüler von Heinrich Schütz war und in Dresden und Hamburg wirkte, gehört zu den Komponisten, die relativ selten auf Konzertprogrammen zu finden sind. Kevin Birch stellte dessen Praeludium in d-Moll vor, ein Stück im Consort-Stil, das aber durchaus expressive Momente hat.
Höhepunkt des Konzertabends wurden jedoch die Bach-Interpretationen des US-Amerikaners, der Musikdirektor der St. Johns-Kirche in Bangor im Bundesstaat Maine ist, an der Musikfakultät Orono lehrt und mit Konzerten durch die USA und nach Europa reist. Beim Potsdamer Orgelsommer gastierte er bereits vor einigen Jahren. In der Toccata und Fuge F-Dur BWV 540 sowie in der Choralbearbeitung „Von Gott will ich nicht lassen“ BWV 658 zeigte sich Birch als feinsinniger, strukturbewusster wie kraftvoller Interpret. Vor allem seine feine Art des Registrierens war ein Genuss. Bei ruhigen und leisen Stellen fand er immer wieder wunderschöne weiche Register, die er in einer Art und Weise zusammenstellte, dass man merkte, mit der Woehl-Orgel hat er sich gut vertraut gemacht. Immer wieder bestach der Klang durch eine auf den Punkt gebrachte Abrundung und Dichte, in der die Farben zueinander in absoluter Ausgewogenheit standen. Das galt auch für die Stellen, an denen er etwas imposanter und aggressiver registrierte. Zu keiner Zeit, auch nicht bei Tutti-Stellen, verschwammen die Register und bildeten nur noch einen Wulst von vermischten Klangfarben. Vielmehr hatte man das Gefühl von Klarheit und Ausgewogenheit. Auch beim hymnisch-patriotischen Schluss in Dudleys Buck Sonate. Die Besucher in der sehr gut besetzten Friedenskirche spendeten Kevin Birch lang anhaltenden Beifall. Der verwies demütig auf die „Königin“, die sich in guter Verfassung hören ließ. Klaus Büstrin
Nächstes Konzert des Internationalen Orgelsommers am Mittwoch, dem 10. Juli, 19.30 Uhr, in der Erlöserkirche, Nansenstraße, mit Markus Stepanek aus Salzburg. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 3 Euro
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