Kultur: Musikerporträt und Zeitbild
Regisseur Hannes Stöhr stellte seinen neuen Film „Berlin Calling“ im Thalia vor
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„Techno funktioniert nicht ohne Komparsen. Deshalb wurden alle Szenen mit ekstatisch bewegten Ravern bei echten Technoparties gedreht.“ erklärt Regisseur Hannes Stöhr, der gemeinsam mit seiner Hauptdarstelerin Rita Lengyel zur Potsdamer Premiere seines Films „Berlin Calling“ ins Thalia-Kino kam.
In Stöhrs zweitem Spielfilm nach der erfolgreichen Ost-West-„Dramödie“ „Berlin is in Germany“ geht es um eine Künstlergeschichte aus den neunziger Jahren. Die standen im Zeichen der Technomusik und haben hierzulande eine ganze Jugendbewegung geprägt, die auch als Spaßgeneration in Misskredit geraten ist. Dass einer der Macher von damals die Hauptrolle in „Berlin Calling“ übernommen hat, erweist sich als Volltreffer für den Film. Wie Stöhr erzählt, sollte Paul Kalkbrenner, Techno- und House-Musiker der ersten Stunde, ihm zuerst nur beratend zur Seite stehen. Ob er in seinem Film auch mitspielen wolle, habe er ihn nach zwei Jahren gefragt. Eine glückliche Entscheidung, denn Kalkbrenners junges, sensibles, offenes Gesicht, sein lakonisches Spiel verleihen dem Film ein hohes Maß an Authentizität. Mit einem professionellen Schauspieler wäre das wohl kaum erreicht worden. Zusammen mit Kalkbrenners Musik, deren fein differenzierter, sehr „musikalisch“ wirkender Technosound den Film von Anfang bis Ende durchströmt, könnte man fast von einem „Kalkbrenner-Film“ reden.
Doch obwohl Kalkbrenners eigene Geschichte spannend genug ist – von der Musikschule in Ost-Berlin über erstes DJ-Dasein in Jugendklubs hin zu einem Leben als einer der gefragtesten Technomusiker unserer Zeit – geht es darum nicht. Stöhr wollte keinen Dokumentarfilm, sondern ein Zeitbild und ein Musikerporträt drehen, ja, ein Künstlerporträt schwebte ihm vor. Kalkbrenner spielt Ickarus, einen gefragten Musiker, dem die Musik das Lebensziel schlechthin ist. Schnell kommen, wie in der Technoszene verbreitet, Drogen mit ins Spiel. Der egomanische, nicht vor Selbstüberschätzung gefeite Ickarus stürzt ab. Er landet in der Psychiatrie, wo er ganz konventionell mit Pillen aller Art still gestellt wird. Corinna Harfouch spielt die behandelnde Ärztin mit der coolen Professionalität einer Frau Doktor, die weiß, wie man die Verrückten im Griff behält. Paul will aber nicht nur Musik, sondern Rausch, Spaß, Lust, Sex, Liebe. Erst lässt er sich seinen Computer in die Klinik bringen, dann bricht er aus und geht zu seinem Dealer. Schließlich holt er zwei Nutten in die Anstalt und feiert mit den anderen Irren seine wilde Abschiedsparty. Der Film zeigt die Technogeneration als veritable Nachfolger der Hippies, mit Musik, Drogen, Künstlertum und Suche nach dem Lebenssinn.
Interessanterweise sind Pauls Gegenspielerinnen weiblich. Neben der Ärztin, gibt es seine Freundin und Managerin Mathilde, sowie die coole Produzentin Alice. Sie verkörpern viel irdisch-pragmatische Vernunft, ohne Sentimentalität. Ein Stück davon steckt sicher auch in der Hauptdarstellerin Rita Lengyel. Die Absolventin der Babelsberger Filmhochschule mit deutsch-ungarischer Herkunft, erzählt, dass sie immer die eigene Person in eine Rolle mit einbringen würde. Obwohl sie selber in letzter Zeit mehr westafrikanischen Jazz hören würde, sei Techno nie weggewesen. „Das ist so wie mit Rockn Roll“, stimmt Hannes Stöhr zu. „Der wurde auch hundert Mal totgesagt und lebt immer noch.“ Babette Kaiserkern
Babette KaiserkernD
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