Kultur: Musikexpedition gen Norden
Eröffnungskonzert der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci in der Friedenskirche
Stand:
Wie das Land, so sein Klang. Mentalitätsbedingt, nationalstolzgeprägt. Und so klingt es im zitronensonnigen Süden eben anders als im Land der Fjorde und der Trolle. Von dortigen Gefilden und Gefühlen fühlten sich nicht nur preußische Monarchen angezogen, sondern auch die diesjährigen Musikfestspiele, die Unbekanntes aus Skandinavien entdecken wollen. Das Eröffnungskonzert am Freitag in der Friedenskirche, in deren Atrium mit der Thorvaldsen-Replik des segnenden Christus ein Fingerzeig gen Norden weist, ging da bereits mit gutem Beispiel voran.
Und die Musik? Ihre Kenntnis beschränkt sich auch bei Liebhabern des Nordens nur auf wenige Namen. Für Abhilfe sorgte das Streicherensemble „Trondheim Solistene“ unter Leitung des Cellisten Øyvind Gimse: emotionsinteger, klangperfekt, energiegeladen. Entdeckerfreudig bliesen sie den Hinterlassenschaften des Schweden Johann Helmich Roman (1694-1758) und des Deutsch-Norwegers Johann Daniel Berlin (1714-1787) viel frischen Wind durch die Partituren. Voller Wärme, straff und spontan wirkend, ohne Vibrato oder Tüfteleien hoben sie eine unterhaltsame Ouvertüre und zwei wenig originelle Sätze über das Maß des unterschwellig eigentlich schon oft Gehörten. Frisch klang’s von konzertmeisterlichen Saiten, als Daniel Turcina den Solopart in Berlins A-Dur-Violinkonzert spielte. Klar und sauber knüpfte er virtuos-verspielte Girlanden, von den Streichern in Accompagnato-Manier begleitet. Reizvolle harmonische Verwandlungen und rhythmische Wechsel bestimmten das Allegro-Finale. Was wahre Beifallsstürme hervorrief. Damit ein jeder auch ja merke, wohin die Reise geht, waren den Musikbeiträgen Ausschnitte aus der Reisebeschreibung der Französin Leonie d’Aunet zwischengeschoben, die sie anno 1852 von Holland aus nach Spitzbergen und zurück über Preußen und Sachsen unternahm. Jennipher Antoni las sie weitgehend sachlich vor. „Und bei jeder Übernachtung findet man ein schlechteres Bett“, heißt es da, gefolgt von Edvard Griegs klagend tonmalender Piece „Herzwunden“. Ähnlich melancholisch hört sich „Veslemøys Lied“ vom norwegischen Romantikerkollegen Johan Halvorsen (1864-1935) an, dem sich die Sentenz „Trondheim ist eine Stadt voller Holzhäuser, die alle zehn Jahre abbrennt“ anschließt. Den Spitzbergen-Erlebnissen: „wütende Brandung, knatternde Eisschollen – es ist, als höre man das Präludium zu einem neuen Chaos klingen“ folgt mit des Dänen Carl Nielsen (1865-1931) a-Moll-Suite eine wenig passende Klangepisode: dick aufgetragen, nordisch düster, aufgeregt. Dagegen erzählt die Musik „It is pain flowing down slowly on a white wall“ für Akkordeon (ausdrucksstark: Frode Haltli) und Streicher des Dänen Bent Sørensen durch ihre „weißen“ Klangflächen, elegischen Linien und ruppigen Klangattacken viel von nordischer Mentalität, von Einsamkeit, landschaftlicher Weite, von Vergehen. Klagelaute eines Wolfsrudels finden sich da genauso wie die Imagination aufstiebenden Schnees oder Herdheimeligkeit. Wie der Klang, so das Land?! Der anwesende Komponist und die „Trondheim Solistene“ werden anhaltend gefeiert. Peter Buske
Peter Buske
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