Kultur: Mutter Courage
Erika Rosenberg liest über die unbeugsame, vergessene Emilie Schindler
Stand:
Sie rettete gemeinsam mit ihrem Mann Oskar Schindler 1300 Juden das Leben. Doch sie selbst geriet in Vergessenheit. Krank und fast ohne Geld vereinsamte Emilie Schindler in ihren letzten Lebensjahrzehnten in einem Vorort von Buenos Aires. Erst die Freundschaft mit der ebenfalls in Argentinien wohnenden Jüdin Erika Rosenberg rückte sie am Ende ihres Lebens aus dem Schatten ins rechte Licht der Geschichte. Am Dienstag um 18 Uhr macht die Biografin von Emilie während ihrer Deutschland-Tour im Filmmuseum Station, um aus ihrem Buch „Ich, Emilie Schindler – Erinnerungen einer Unbeugsamen“ zu lesen.
Erika Rosenberg war auf der Suche nach sich selbst, als sie 1990 – noch vor dem großen Film „Schindlers Liste“ – auf Emilie stieß und damit ihr eigenes Leben für immer veränderte. „Meine Eltern mussten 1936 aus Deutschland auswandern und landeten ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld, aber mit der psychischen Last der völligen Entwurzelung in Argentinien. Das Thema Deutschland war in meiner Familie tabu. Als Vater und Mutter tot waren, hatte ich den innerlichen Drang, mich auf die Suche nach meiner eigenen Geschichte zu machen.“
Sie wandte sich an eine deutschsprachige Zeitung in Buenos Aires, um einen Artikel über die deutsch-jüdische Immigration in Argentinien zu schreiben. „Der Chefredakteur fragte mich, ob ich die Geschichte von der Mutter Courage Emilie Schindler kenne.“ Mit der Absicht, mit ihr ein Interview für die Deutsche Welle zu führen, aber noch viel mehr aus Neugier auf diese Frau, fuhr Erika Rosenberg nach San Vincente. Dort traf sie Emilie, die völlig isoliert lebte. „ Zwar kam täglich für ein paar Stunden eine Betreuerin, aber sie unterhielten sich nicht mehr. Sie selbst konnte nicht richtig gehen, hatte wenig Geld, mit wem sollte sie sich also treffen in ihrem abseits gelegenen Haus? Die Art, wie sie vergessen wurde, empfinde ich als große Undankbarkeit.“
Vier Sonntage fuhr die Historikerin für ihr Interview zu Emilie, die anfangs den Fragen auswich, auch Schwierigkeiten hatte, sich zu äußern, einfach weil sie sprachlich ausgedörrt war. „Aber als sie spürte, dass ich mich für sie interessierte, war sie froh und offen. ,Fragen Sie mich aber nicht über Oskar Schindler, über ihn will ich gar nicht reden.“ Und sie warnte mich auch: ,Das wird eine harte Arbeit, denn ich bin kein einfacher Mensch und wenn ich fluchen muss, dann fluche ich und schicke die Leute zum Teufel. In meinem Leben gab es viele Schweineluder, gegen die ich mich wehren und durchsetzen musste...“ Und sie fluchte wirklich viel, war oft ruppig und schroff, schlimmer, als man es der Biografie herausliest.“
Emilies Pechsträhne fing 1939 mit dem Tod ihrer Eltern an, „dann kamen die ganzen Seitensprünge meines Ehemannes, die Kinderlosigkeit, der Verlust der alten Heimat, denn ich war und bin eine Vertriebene ohne Zuhause, ohne Wurzeln. Schließlich der finanzielle Zusammenbruch in Argentinien, nachdem mein Mann 1957 nach Deutschland zurückgegangen war und mich mit Schulden in Höhe von einer Million Pesos, umgerechnet 90 000 Dollar, zurückgelassen hatte.“
Jahre später, 1993, kam dann die Filmgeschichte von Spielberg. Emilie wurde erst zu den letzten Dreharbeiten in Israel eingeladen, und zwar als eine „Gerettete“ von Schindler und nicht als seine Witwe, die genauso viel zur Rettung der Juden beigetragen hatte wie ihr Ehemann. „Niemand wusste, dass ich noch lebte, oder besser gesagt, niemand wollte es wissen, wahrscheinlich damit sie mir nicht die fünf Prozent vom Erlös des Filmes zu zahlen brauchten“, erzählte sie ihrer Biografin. „Es ist schon eine sehr krumme Geschichte, dass Spielberg nicht richtig recherchierte. Die Witwe Oskars hätte schließlich am besten Auskunft geben können“, so Erika Rosenberg.
Es gab auch eine Vorgeschichte zu Spielbergs Film. Schon 1962 habe die MGM einen Film über die Schindlers drehen wollen: über beide. „Romy Schneider und Richard Burton standen als Besetzung fest. Oskar Schindler hatte selbst das Drehbuch geschrieben. Doch das Projekt wurde auf Eis gelegt, damals wollten die Amerikaner noch keinen Film über einen guten Deutschen.“
Eine letzte Enttäuschung erlebte Emilie im Oktober 1999, als sie erfuhr, dass ein Koffer ihres verstorbenen Mannes auf einem Hildesheimer Dachboden gefunden wurde. „Anstatt mich zu benachrichtigen, waren die Dokumente der Stuttgarter Zeitung übergeben worden, um daraus eine Serie und ein Buch zu machen. Seitdem befinde ich mich in einem Rechtsstreit um das Erbe meines Mannes“, ist zu lesen. Ein Jahr später bekam sie wenigstens die Kopien der Dokumente. „Wir standen vor einer Fundgrube, und ich überarbeitete die Biografie.“ Inzwischen gibt es eine zweite Überarbeitung, dem Tod Emilies Rechnung tragend.
Emilies Leben wurde Teil von Erika Rosenbergs Leben. Sie kümmerte sich auch nach dem Erscheinen des Buches um die Freundin. „Ich mochte sie und sie tat mir leid. Emilie war oft krank, konnte sich aber nicht mal eine Krankenkasse leisten. Also machte ich ständig Aktionen, um Geld für sie zu ,schnorren“. Einfach aus Dankbarkeit. Die Frau hat mir ihr ganzes Leben anvertraut, mich damit bereichert – und belastet.“ Derzeit sind es die Strapazen der Lesungen, die Erika Rosenberg auf sich nimmt. „Wenn ich nicht weitermache, geht ihre Geschichte wieder verloren. Ich habe mich für Emilie auch deswegen eingesetzt, weil sie eine Frau war und ich es ein Leben lang hasste, wenn Frauen Männern unterstellt waren. Auch Emilie erging es so, aber sie hat sich dennoch für andere stark gemacht. Das will ich nicht vergessen, gerade weil ich eine Jüdin bin.“
Ihren Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren, konnte sich Emilie noch erfüllen. Im Juli 2001 reiste sie 94-jährig trotz aller ärztlicher Warnungen nach Bonn. Sie hatte eine Einladung vom Museum für Geschichte, wo sie ihre Aufzeichnungen und Urkunden für die dortige Dauerausstellung übergeben wollte. Die Übergabe erfolgte ohne sie, Emilie musste nach den Strapazen des Fluges ins Krankenhaus. Sie erholte sich noch einmal, doch am 19. Oktober trag man sie im bayrischen Waldkraiburg zu Grabe. Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, sprach die letzten Worte: „Es erfüllt mich mit Trauer und auch Bitterkeit, heute am Grab dieser mutigen Frau zu stehen. Trauer, weil sie von uns gegangen ist, ohne dass wir ihr die Anerkennung gezollt haben, die sie verdient hat.“
Die PNN verlosen zwei „Emilie“-Bücher sowie 3 mal 2 Freikarten für die Lesung. Anruf Dienstag, 11 Uhr, 0331-23 76 116.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: