Kultur: Nach Phildelphia!
„Off the Map“ hatte in der Reithalle B Premiere
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„Off the Map“ hatte in der Reithalle B Premiere „Bleibe im Lande und nähre dich redlich“ gilt nicht mehr. Viele suchen längst ihr Glück in der Fremde, am liebsten dort, wo scheinbar alle Möglichkeiten offen stehen, gen Übersee. Solch umtriebiges Fernweh wird auf abenteuerliche Weise begründet: Als Selbstverwirklichung, als Suche nach dem Alter ego (was immer das ist), nach dem Perfekten, Unverrückbaren, dem Abgeschlossenen. Fast alle kehren irgendwann mit der Erkenntnis zurück, dass es besser sei, in sich zu forschen statt außerhalb, auf eigenem Terrain. Doch würde auch tausendmal gesagt, wie fremd alles Fremde bleibt, wie vergeblich die Suche im Weiten, so zieht es die ruhlosen Menschen weiter hinaus, ihr Glück an falschem Orte zu suchen. Genau das geschah Jennifer Mann und Heidi Weiss, als sie mit allerlei Flausen im Kopf gen Europa zogen, im Tanz das Höchste zu erringen, sich selbst. Dort schenkte ihnen die vornehme Muse Erato zwar Anmut, Ausdruck und Kraft, doch was sie wirklich begehrten, das fanden sie mitnichten im Land der Perfektion. Getrennten Weges kehrten sie von Philadelphia zum alten Kontinent zurück, und gründeten mit „Zen in the Basement“ in Potsdam ihre eigene Kompagnie. „Off the Map“, am Donnerstag in der Reithalle B vorgestellt, ist bereits die achte Produktion der beiden Damen. Dieses autobiographische Tanz-Theaterstück verarbeitet ihren Glücks-Anspruch jenseits des Teiches auf sehr kritische Art, denn es muss bitter sein, so einfach „von der Karte zu verschwinden“, wie die Übersetzung dieser Eigenproduktion heißt. Auf der Suche nach dem perfekten Ort, dem perfekten Job, dem perfekten Partner begegnen sich Jennifer Mann und Heidi Weiss in der viel zu langen und etwas drögen Eingangsszene auf der schwarzverhangenen Off-Bühne. Erstere stochert mit einem Richtmikrophon durchs Gelände, bis Polizeisirenen, Gesprächsfetzen und Musikspots, mal englisch, mal deutsch, keinen Zweifel am Ort des Geschehens lassen - Philadelphia (warum Frau Mann jedoch so beständig an der zweiten Weibsperson herumlauscht, war schwerlich einzusehen). Regen fiel und ging. Nun wollte Heidi Weiss in einer großen Szene auf all die Laute im Ozean der Geräusche reagieren, doch brachte sie nur mechanische Roboter-Figuren zustande, ein Bild der Zwänge dieser Zeit. Sehr gut. Nicht ohne Humor suchte man danach den perfekten Mann mit Türkis-Augen und knackigem Po per Annonce, wobei die Tänzerinnen eine Person mit vier Armen zeigten, wie auch bei der vergeblichen Jobsuche. Aber Nummer 22 ging leer aus. Und immer wieder, ohne Pause, aus dem Off die nervigen Geräusche, so dröhnig ist die Welt. Den Höhepunkt der Inszenierung bildete eine spannende Szenenfolge, mithin der vergebliche Versuch, sich zu assimilieren: Beide Künstlerinnen kleiden und schmücken sich aus Hellweg-Pappkartons („ihr Umzugs-Berater“) mit gleicher Konfektion, doch sind sie auch dessen nicht zufrieden. Das Schlussbild zeigt sie aller Genugtuung bar: Weit gegangen – nix gewonnen. Denn was sie auch taten und suchten, immer fehlte etwas, mal innen, mal außen. Schön, dass auch selbstkritische Töne in dieser schönen Produktion nicht außen vor blieben. Tänzerisch bot „Off the Map“ elegante Figuren und manche Überraschungen. Meist hielten sich die Reisenden dicht beieinander, als ob eine der anderen helfen, sie stützen könnte, doch am Schluss hatten beide gleichsam fast nichts auf der Haut, nur Identität im Rollentausch. Langsam verlosch das Licht, die Geräusche ebbten, Jennifer Mann und Heidi Weiss verschwanden tatsächlich wie von der Landkarte. Doch Ironie des Geschicks! Weil nichts perfekt ist in der Welt und wirklich abgeschlossen, müssen sie zurück: Nächste Woche wird diese ästhetisch schöne und gedanklich anspruchsvolle Inszenierung anderswo zu sehen sein. In Philadelphia natürlich. Gerold Paul
Gerold Paul
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