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Kultur: Nachdenken über den kleinen Muck

Wolfgang-Staudte-Ehrung im Filmmuseum mit sehr wenig Zuschauerresonanz

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Er hat mit „Die Mörder sind unter uns“ den allerersten deutschen Nachkriegsfilm gedreht, er hat „Mutter Courage“ verfilmen sollen, und als es mit Bertolt Brecht nicht recht weiterging, wurden aus den restlichen Produktionsmitteln der unvergessliche „Kleine Muck“ gedreht. An den 100. Geburtstag des Regisseurs Wolfgang Staudte wird in diesen Tagen nicht nur im Filmmuseum mit ihrer über drei Tage laufenden Film- und Diskussionsreihe erinnert. Wer das Fernsehprogramm genau studiert, findet in den dritten Programmen DEFA-Produktionen wie „Rotation“ (1948) oder „Der Untertan“ (1951) neben späteren, in der Bundesrepublik produzierten Fernsehfilmen.

„Nachdenken über Wolfgang Staudte“ möchte man im Marstall anregen und, so der Mitorganisator und Filmhistoriker Michael Grisko, „den ganzen Staudte zeigen“. Die Figur des Regisseurs, der unter drei verschiedenen politischen Systemen gearbeitet hat, und der sich selbst immer als „Nestbeschmutzer“ sah, gibt dafür viel Material. Doch die von der DEFA-Stiftung und dem Wirtschaftsministerium finanziell geförderte Veranstaltung hat am Auftakttag ein offensichtliches Kommunikationsproblem. Ganze vier Zuschauer haben sich zu Giskos Eröffnungsrede eingefunden, der einige der Frühwerke Staudtes folgen werden. Der Beginn, werktags um 17 Uhr, schließt schon vorab einen großen Teil der Öffentlichkeit aus. Die Projektleiterin des Museums ist gar in Urlaub. Und das Stammpublikum, die alten Mitarbeiter aus dem DEFA-Studio, die hier sonst zu jedem Jubiläum der ihren zahlreich erscheinen, mag Staudte als jemand, der seinem Engagement gegen das Vergessen später im Westen untreu wurde und für das Fernsehen Unterhaltungskonfektion ablieferte, nicht mehr zu seinem Kreis zählen.

Am Beispiel Staudtes zeigt sich, wie schwer die Vermittlungsarbeit einer Institution sein kann, die ihre Aufgabe an der Schnittstelle zwischen Publikum und Filmgeschichte versehen soll. Staudtes Lebenswerk ist beeindruckend und verdient, erinnert zu werden. Schon sein erster Kurzfilm „Ein jeder hat mal Glück“ von 1933 weist in seiner Konventionalität und Biederkeit auf den Hauptvorwurf, den ihm später die Kritik machen wird. Dass er als Ausdrucksform auch für seine engagierten frühen Werke stets nicht die analytische Avantgarde wählte, sondern emotional das größtmögliche Publikum erreichen wollte. Oder, wie es im Porträtfilm „Kein Untertan“ von Malte Ludin vorwurfsvoll heißt, dass Staudte „sein Engagement ans Kino verhökerte“.

Staudtes Debüt, wie auch die von der Nazi-Zensur kurz vor Kriegsende noch verbotene Komödie „Der Mann, dem man den Namen stahl“ sind von einigem filmhistorischen Interesse, doch das große Publikum scheint heute unerbittlich in seiner Verweigerung. Offensichtlich, und da irrt es sich im Geschmack nie, will man Staudte so genau nicht kennen lernen. Ausgenommen vielleicht den „Kleinen Muck“. Ein Dilemma, dem nur ein erhöhter sozial-pädagogischer Aufwand abhelfen könnte. Mehr Werbung, mehr Wertschätzung. Wen interessiert tatsächlich die gestern diskutierte ziemlich hypothetische Frage, ob Staudte heute Telenovelas produzieren würde? Viel interessanter: warum Staudte, der im westlichen Teil des Landes, wenn überhaupt noch, für unzählige TV-Serien (Seewolf) und Tatort-Folgen bekannt ist, es immer noch wert sein kann, mit einer Veranstaltung geehrt zu werden.

Der Werbefilm „Deutsche Siege in drei Erdteilen“, den Staudte 1937 für die Autounion (heute Audi) anfertigte, erscheint, als ob hier der Feldzug der Wehrmacht bereits von den siegreichen Rennwagen vorweggenommen werden soll. Wir alle, heißt es darin pathetisch, wollen die Hakenkreuzfahne endlich in Amerika wehen sehen. Über der Rennstrecke. Ein Dokument der Zeit: aber für ein Kinopublikum?

Eine Diskrepanz zwischen Publikumszuspruch und Historikersicht zeigte sich auch bei dem vor zehn Gästen aufgeführten „Der Mann, dem man den Namen stahl“. Gisko hielt ihn gar für den „einzigen durchweg subversiven Film aus der NS-Zeit". Mutig war es sicher von Staudte, der Zensur eine übertriebene Bürokratenparodie abzuliefern. Doch in dieser harmlosen Farce, wie Grisko meinte, „den Aufruf zu einer Rebellion“ zu sehen, kann nur ein Experte sehen.

Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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