Kultur: Nachgereist in die Hölle
Das Theater- und Filmprojekt „David Salz" wird am 10. Mai im Hans Otto Theater uraufgeführt
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Er ist 13, als seine Mutter nach Auschwitz deportiert wird. Mit der Transportnummer 33. Drei Transporte später rollt auch David dem nebulösen Ziel entgegen: Allein von dem Wunsch getrieben, endlich wieder der Mutter nahe zu sein.
Die authentische Geschichte von David Salz wird ab 10. Mai in einem Theater- und Filmprojekt erzählt. Anlass ist der erste Jahrestag der Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Die Initiatorin dieses Mahnmals in Berlin, Lea Rosh, gab auch den Anstoß für das Stück, das am Hans Otto Theater im Beisein von David Salz uraufgeführt wird.
Kennen gelernt hat die Publizistin den in Tel Aviv lebenden Mann vor etwa zwei Jahren. Das ZDF hatte gemeinsam mit dem israelischen Fernsehen eine Serie über das Thema Juden in Berlin gedreht, in der auch Lea Rosh eine zentrale Rolle spielte. Diesen Film sah David Salz zu Hause in Israel, und er schrieb Lea Rosh einen Brief, dass er sie gern kennen lernen würde. Als er zu einem Vortrag in die Jüdische Gemeinde nach Frankfurt/Main eingeladen war, bat ihn die engagierte Holocaust-Aufklärerin, doch nach Berlin zu kommen: in seine einstige Heimatstadt. Ein schwerer Schritt für David Salz. Doch er ging ihn. Lea Rosh und ihr Mann begleiteten ihn, als er mit weichen Knien noch einmal die Wohnung seiner Kindheit betrat, in der er allein mit seiner Mutter gelebt hatte, nachdem der jüdische Vater nach dreijähriger Haft im Gefängnis erschossen wurde. Diese Nachricht erhielten sie am 24. Dezember 1939.
Vier Jahre später kam eine Bekannte in die Wohnung gestürzt. Sie teilte David mit, dass seine Mutter von der Fabrik weggeholt und in die Jüdische Hochschule in der Großen Hamburger Straße gebracht worden sei. Dort war die Sammelstelle für die Deportationen der Juden. Natürlich wollte David sofort zu ihr. Die Frau bat ihn jedoch, es nicht zu tun. Schließlich hätten die Nazis sonst ein Indiz, dass jemand geredet habe. Der Junge, der sich tagelang allein in der Wohnung eingeschlossen hielt und auch beim Klopfen der Nazis nicht öffnete, machte sich dann auf den Weg zur Gestapo. Er wollte seiner Mutter Wäsche bringen. Dort ließ man ihn gar nicht erst zu Worte kommen, sondern schlug fürchterlich auf ihn ein. „Die Narben habe ich bis heute, obwohl ich mehrere Schichten von der Kleidung meiner Mutter auch am Körper trug und das die Schläge etwas dämpfte“, erzählt er am Telefon, kurz vor seiner Abreise nach Potsdam.
In Auschwitz an der Rampe selektierte der Lagerarzt Mengele die Ankommenden. Kinder, Alte und Schwangere auf der einen Seite, die Arbeitskräftigen auf der anderen. Dort vermutete David seine zuvor bei Siemens angestellte Mutter. „Ich stellte mich auf Zehenspitzen und schwindelte mein Alter auf 17 hoch. Dann sagte ich spontan, dass ich Elektriker bin.“ Seine Hoffnung, die Mutter wiederzufinden, erfüllte sich nicht. Sie war bereits vor seiner Ankunft vergast worden. Mit viel Glück überlebte er selbst Auschwitz und auch die Todesmarschstrecke nach Gleiwitz. „Dort wurden wir auf offene Kohlewagen verladen, im Januar bei Eis und Schnee, ohne Verpflegung. Mit einem Becher an einem Faden erhaschten wir Schneeflocken, die wir aßen.“ Nach neun Tagen erreichten sie das Lager Dora Mittelbau, ein Stollen mit nur acht Grad Celsius . „Wir Juden waren dort die unterste Stufe, hatten keine Pritschen, keine Klos, nichts zum Waschen.“ Nach mehreren Monaten dieser Hölle wurde die Gegend bombardiert. „Dadurch fiel der Strom im Lagerzaun aus und ich floh in den Wald.“ Auf einem Bauernhof bat er um Essen, und gab auf Nachfrage zu, jüdischer Abstammung zu sein. Die Bauern wollten zur Gendarmerie. Wieder musste David fliehen. Im Wald sah er schließlich ein großes leeres Zelt. Er schnappte sich eine Wolldecke, die er bis heute aufgehoben hat. Schließlich lief er den Amerikanern in die Arme. Als die Soldaten seine Nummer 107939 entdeckten, glaubten sie, es sei eine Nazi-Tätowierung und wollten ihn erschießen. „Ich schrie verzweifelt: ,Jewish!’“ und im letzten Moment bekam er rettenden Beistand durch einen jüdischen Soldaten.
Als die Amerikaner abzogen, nahmen die Russen ihn unter ihre Fittiche. „Ein jüdischer Offizier sagte mir: ,Was du auch brauchst, alles gebührt dir’“. Er half ihm, mit dem Zug nach Berlin zurück zu kehren mit zig Flaschen Wodka im Koffer, die wertvoller als Gold waren. In seinem Kiez am Prenzlauer Berg ging er zum ehemaligen Schuhgeschäft seiner Eltern. „Dort traf ich den Mann wieder, der meine Eltern denunziert hatte. Früher sang er Lieder auf die Nazis, jetzt auf Stalin. Als ich in den Raum wollte, nahm er einen Feuerhaken. Ich entriss ihm das Teil und schlug selber zu. Die Nachbarn unterstützten mich durch Zurufe. Ich sah in ihm nur den Petzer, der wieder Leute ins Unglück stürzt.“ Wochen später starb er. „Vielleicht an den Verletzungen.“ David Salz stellte sich. „Der russische Offizier, ebenfalls Jude, sagte nur: ,Das nächste Mal schlägst du nicht so ins Gesicht’ – und ließ mich gehen.“ Der junge Mann kehrte seiner schuldbeladenen Heimat für immer den Rücken, floh den Erinnerungen. Doch in seiner Wohnung in Tel Aviv gibt es noch immer ein Holocaust-Zimmer, in das er sich zurück zieht, wenn er der Mutter nahe sein will.
„Du musst dieses Zimmer auflösen, die Qualen der Erinnerung loswerden“, ermutigte Lea Rosh den heute 76-Jährigen, auf deren Fährte sie sich als Journalistin begab. Gemeinsam mit Sascha Jakob interviewte sie David Salz, drehte an „seinen“ Orten: in Auschwitz, in der Großen Hamburger Straße, vor dem Elternhaus.
Diese Filmaufnahmen werden verschränkt mit Theaterszenen, die die Autorin Katharina Schlender schrieb. „Diese Szenen sind fiktiv, spiegeln indirekt das Leben von David Salz.“ Die Film-Theater-Collage bot Lea Rosh dem Intendanten des Hans Otto Theaters zur Aufführung an. „Uwe Eric Laufenberg war sofort interessiert“, so Lea Rosh, die sich inzwischen als Vorsitzende des Fördervereins fürs HOT engagiert. Die Uraufführung des Stückes am 10. Mai ist für sie eine gute Möglichkeit, auch den ersten Jahrestag des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas zu begehen. Nach den vielen Gefechten, die sie im Vorfeld der Mahnmal-Erbauung zu führen hatte, ist sie heute von tiefer Befriedigung erfüllt. „Täglich kommen an die 2000 Menschen an den Ort der Information, darunter immer wieder Schüler. Ein 17-jähriges Mädchen schrieb ins Gästebuch: ,So hab’ ich das nicht gewusst.’ Das ist doch eine wunderbare Bestätigung.“ Das Mahnmal werde respektiert, wurde nicht, wie prophezeit, zur Müllhalde. „Natürlich weiß ich, dass der Antisemitismus nicht ausgestorben ist, aber wie kann das auch sein. Was vor 60 Jahren passierte, war ein Bruch der Kulturgeschichte. Das ist nicht so schnell vorüber. Aber die jungen Leute sind anders“, vertraut Lea Rosh auf die Zukunft. Die Zeit, dass ein 13-Jähriger seine Mutter in der Hölle suchen muss, ist vorbei. Jedenfalls in Deutschland.
Zur Premiere gibt es ein Gespräch mit Petra Pau, Beate Klarsfeld, Lutz Boede und einem jungen Berliner Juden. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Für den 11. Mai gibt es noch Karten: Auch dort moderiert Lea Rosh ein Gespräch: mit den Zuschauern.
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