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Kultur: Nachkriegsdepression

Die Villa Schöningen zeigt Bilder aus der Privatsammlung von Georg Baselitz, die in seiner Berliner Zeit entstanden sind

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Genau an der ehemaligen Bruchkante der politischen Systeme inszeniert die Villa Schöningen die erste Ausstellung mit Bildern aus der Privatsammlung des Malers Georg Baselitz. Am 10. Februar 1962 fand auf der Glienicker Brücke der erste Agentenaustausch statt. Nun zeigt das Ausstellungshaus Bilder des Malers, der 1957 von Ost- nach West-Berlin übersiedelte. Deutsche Befindlichkeit hat Baselitz in seinen Bildern immer wieder intensiv thematisiert.

Der Wechsel von Ost nach West kam für den Maler nicht freiwillig, die Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Ostberlin hatte ihn wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ rausgeworfen. Also studierte er an der Hochschule für bildende Künste in Westberlin weiter. „Es herrschte damals eine unglaubliche Depression. All den Haufen Dreck, Mist und Chaos konnten wir nicht ignorieren“, beschreibt der Maler die Stimmung im damaligen Nachkriegsdeutschland. Bilder sollten nicht schön sein, sondern eine „ungeheure Schweinerei“. Der 1938 als Hans-Georg Bruno Kern geborene Maler wollte fortan radikal mit allen Bildtraditionen brechen und provozieren. Das gelang ihm blendend. Schon 1962/63 fabrizierte er einen veritablen Skandal, als er in der Galerie Werner und Katz die „große Nacht im Eimer“ und den „nackten Mann“ zeigte. Eine onanierende Figur, das ganze Bild in grau-grünen Tarnfarben gehalten, das ging der Sittenpolizei zu weit. Das Bild wurde beschlagnahmt.

Eine Variante der „großen Nacht im Eimer“ findet sich in der Ausstellung. Das Mittelformat zeigt eine einarmige Figur mit zermatschtem Gesicht, die recht angestrengt mit dem verbliebenen Arm masturbiert. „Das sollte zwar eigentlich nur in Künstlerkreisen provozieren, aber plötzlich waren wir groß in den Zeitungen und die Galerie wurde belagert. Wir haben uns zwei Tage nicht aus der Wohnung getraut“, berichtet Baselitz über die damalige Ausstellung.

16 Bilder des Malers zeigt die Villa Schöningen. Entstanden sind sie, als Baselitz von 1956 bis 1971 in Berlin wohnte. Hinzu gruppieren sich fünf Bilder aus der von Baselitz so betitelten „Remix“-Serie von 2008, in denen er Motive von früher gemalten Bildern wieder aufnimmt.

„Ich war immer ein Bürger, ich habe eine Frau, zwei Kinder, ich führe ein braves Leben. Aber wenn ich male, bin ich eigentlich außerhalb der Gesellschaft“, stellte der Maler 1989 in einem Interview fest. Da hatte er bereits eine Professur an der Hochschule der Künste in Berlin inne und an wichtigen internationalen Ausstellungen teilgenommen. Dennoch blieb er seinem radikalen Malstil ebenso treu wie dem Prinzip des fortgesetzten Stilbruchs, das ihn zwang, von Mal zu Mal neue Lösungen für seine kontroversen Inhalte zu finden. Der Bruch der Systeme, die forcierte Biederkeit der 50er Jahre, die faschistischen Ideologien, die weiterhin virulent waren, wenn ehemalige Nazis in Verwaltungen und Gerichten leitende Posten bekleideten, all das klang als unterschwelliger Basso Continuo in der Bilderwelt von Baselitz mit. Also malte er eine Serie von Köpfen, die in schwarz-rot-gelben Räumen auseinanderbersten vor innerer Spannung. Niemand anders malte damals so. Es war eine speziell deutsche Variante heftiger Malerei, die sich von allen anderen Kunstströmungen in den 60er Jahren unterschied. Der Lehrer von Baselitz, Hann Trier, malte bewegt aber ungegenständlich. Auch Jackson Pollock, der den Deutschen Hans-Georg Bruno Kern schwer beeindruckte, hatte sich früh von der Figur verabschiedet. „Mein Freund Schönebeck und ich haben nach dem Krieg die besten Bilder in Berlin gemalt. Das ist Fakt!“ stellt der Künstler heute selbstbewusst fest. Ein wenig beleidigt ist er allerdings, dass die Nationalgalerie Berlin keine offiziellen Ankäufe von ihm getätigt hat und daher“ „ihrer Funktion nicht gerecht wird“.

Seinen radikalen malerischen Ansatz untermauerte Baselitz zu der Zeit, als die Bilder in der Villa Schöningen entstanden, mit Schriften und Manifesten, die ebenfalls zu sehen sind. Der Maler „hat es soweit gebracht, dass die Häschen in den Klee gegangen sind und die Entchen Federn ließen“, schreibt der Künstler. Darum sei das Bild „die großen Freunde“ ein gutes Bild. Auf einem anderen Bild: „die Banane“ finden sich Entchen. Etwas verquollen sehen sie aus. Eine grünliche Frucht, die ein wenig faulig wirkt, liegt in ihrem Schoß. Mischwesen aus Hund und Ente, aufgegangen im Hefeteig, scheinen sich um eine verdorbene Frucht zu scharen. Das spiegelt selbst in dieser nahezu surrealen Form die schwüle Nachkriegsatmosphäre wider, die von unbedingtem Willen zur Konformität und sexueller Unterdrückung geprägt war.

Seine erst vor kurzem entstandenen Remix-Bilder seien klarer, es gelinge ihm besser seine Inhalte zu formulieren, sagt Baselitz, der seine Formen ausdrücklich nie der Natur entlehnt. Tatsächlich wirken die neueren Bilder mit ihrer helleren Farbigkeit eher wie ein etwas matter Nachklang im Vergleich zu düsteren Welten, wie sie sich beispielsweise in „G.-Dezemberfreude ich bin dein Tod“ entfalten.

Zu sehen bis 1. August in der Villa Schöningen, Berliner Straße 86, Di bis Fr 11 bis 18 Uhr, Sa und So 10 bis 18 Uhr

Richard Rabensaat

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