Kultur: Nackt, aber nicht entblößt
Die Galerie am Jägertor zeigt eine feine Schau klassischer Aktzeichnungen
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Akte. Da denkt man erst einmal an die schnell hingeworfenen Skizzen, die anatomischen Studien von Kunststudenten, die sich an Muskeln, den Sehnen und dem Glanz der Haut abschraffieren. Akt kann aber natürlich auch ganz anders, der Akt, so könnte man sagen, durchdringt die ganze Kunst. Auf ihm baut alles auf. Die großen Szenen der klassischen Malerei, die Bildhauerei sowieso. Eine zarte Ahnung von dieser Vielfalt bekommen Besucher ab Freitag in der Galerie am Jägertor. Dort zeigt die Galeristin Kornelia Tappe mit ihrer Ausstellung „Klassischer Akt“ Arbeiten der 1943 in Leipzig geborenen Künstlerin Gisela Neuenhahn – kombiniert mit Skulpturen von Heike Adner und Werken aus ihrer eigenen Sammlung. Die stammt zu Teilen von ihrem Schwiegervater, dem Schauspieler Walter Tappe, der die Maler der expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ noch persönlich kannte.
Teil dieser Sammlung sind etwa die kühnen kleinen Akte von Karl Hofer, ebenfalls ein Expressionist und Mitglied der 1909 gegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“, aus der später der „Blaue Reiter“ hervorging. Hofer selbst, der 1949 Direkor der Hochschule für bildende Künste in Berlin wurde, hielt die von vielen Kollegen seiner Zeit erklärte Unvereinbarkeit von figurativer und abstrakter Kunst immer für Unsinn.
Dass die Grenze zwischen figürlich und abstrakt fließend sein kann, zeigen seine Akte in der Galerie am Jägertor. Da ist etwa diese Zeichnung zweier Mädchen, die eine vergräbt das Gesicht an der Schulter der anderen, ohne dabei recht Trost finden zu können. Die wenigen Striche, mit denen Hofer den Doppelakt hingeworfen hat, umreißen doch alles: die Trauer, das Verlorensein zweier Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Ganz ähnlich – und doch ganz anders – ist der Doppelakt gleich daneben. Ein Akt in Öl von Gisela Neuenhahn, eine innige Umarmung von Mann und Frau, auch sie haben beide das Gesicht – für den Betrachter verborgen – am Hals des jeweils anderen. Trotz ihrer Nacktheit und der Nähe ist es keine leidenschaftliche Umarmung, eher die untröstliche des Abschieds. Gisela Neuenhahn, sonst eher für romantische Landschaften bekannt, zeigt hier eine ganz andere Seite ihrer Kunst. „Als ich die Arbeiten sah, habe ich sofort an die Akte aus meiner eigenen Sammlung gedacht“, sagt Kornelia Tappe, und so entstehen wohl die besten Kuratoren-Ideen.
Denn so klein die Galerie am Jägertor auch ist, so stimmig, so miteinander im Gespräch sind die Arbeiten der neuen Ausstellung. Noch bevor man zu Gisela Neuenhahns Akten durchdringt, warten im Fenster schon die Terakotten von Heike Adner. Zwei Skulpturen, sie kalkweiß, er fast schwarz, beiden gemeinsam ist diese Standfestigkeit. Eine Haltung, die nicht so sehr mit Statik oder dem Aufbau ihrer Körper zu tun hat, sondern mit etwas, das man fast Seele nennen könnte. Heike Adners Menschenbilder haben zarte Züge, sie hat die Hand auf die Brust gelegt, eine Geste des Mitfühlens. Zwischen ihren weißen Beinen sitzt eine riesige schwarze Siamkatze, wie ein erotischer Stolperstein bei all der unprätentiösen Grazie.
Die findet sich auch bei Heike Adners anderen Skulpturen: Frauen mit kleinen Brüsten, massiven Schenkeln, das Becken meist leicht vorgeschoben. Frauen wie aus dem Leben, solche, die sich nicht aufreizend geben, sich nicht in Pose werfen müssen, solche, deren Attraktivität allein aus ihrem Ruhen in sich selbst rührt. Etwas von dieser selbstgenügsamen Lässigkeit findet sich auch in Gisela Neuenhahns Aktzeichnungen. Fast wie ungewollt lasziv stützt sich da eine auf dem rechten Arm ab, die nächste kauert sich zusammen, nicht wie im Schmerz, eher wie in einem Moment völligem In-sich-gekehrt-Seins.
Und dann findet sich noch ein Öl-Akt von ihr, fast direkt gegenüber des abschiednehmenden Paares. Auch hier herrscht kein Frieden, keine Einigkeit – aber hier glüht noch etwas, das ganze Bild hat einen warmen Rotton. Er ist von hinten zu sehen, nur seinen Kopf neigt er nach links über die Schulter zu ihr, blickt sie an. Sie hingegen dreht sich, wie aus einem Impuls heraus, gerade zu ihm, dem Betrachter frontal zugewandt. Was für ein Impuls das ist, Rage oder Leidenschaft, bleibt angenehm rätselhaft. Ariane Lemme
Die Ausstellung „Klassischer Akt“eröffnet am Freitag, 6. Februar, um 18 Uhr in der Galerie am Jägertor, Lindenstraße 64, geöffnet ist mittwochs bis samstags von 14 bis 18 Uhr
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