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Kultur: „Natürlich gab es Überwachung“
Hans Otto Bräutigam über sein Buch „Ständige Vertretung“, das er heute in Potsdam vorstellt
Stand:
Herr Bräutigam, was ist Ihre schönste Erinnerung an die DDR?
Das ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Es gab gelegentlich Situationen, die ich in allerbester Erinnerung habe. So zum Beispiel im Jahr 1984. Da bin ich Pfingsten nach Magdeburg gefahren und habe im vollbesetzten Dom ein Konzert besucht.
Ein Konzert gehört zu Ihren schönsten Erinnerungen an die DDR?
Da wurde die h-Moll-Messe von Bach aufgeführt. Der letzte Satz dieser Messe heißt: Dona nobis pacem – Herr gib uns Frieden. Die Menschen waren wirklich sehr ergriffen und der Dirigent hat diesen Schlusssatz, was wirklich selten ist, noch einmal wiederholt.
Diese Ergriffenheit wird für einen heutigen Besucher der h-Moll-Messe kaum anders sein.
Das war in einer Zeit, in der viele Menschen sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik äußerst beunruhigt waren über die Folgen der sogenannten Nachrüstung. Der Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik als Gegengewicht zu sowjetischen Raketen, die auf den Westen gerichtet waren. Das war eine Zeit hoher Anspannung zwischen Ost und West. Da war dieser Schlusssatz aus der h-Moll-Messe im Magdeburger Dom ein wunderbarer und beglückender Augenblick.
In Ihrem Buch „Ständige Vertretung. Meine Jahre in Ost-Berlin“, das Sie heute in Potsdam vorstellen, schreiben Sie aber auch, dass Sie in dem Jahr 1984 über 50 sogenannte Botschaftsflüchtlinge in der Ständigen Vertretung hatten und diese Zeit zu Ihren schlimmsten Erfahrungen gehörte. Weil Sie sich so hilflos fühlten?
Nicht nur weil ich mich so hilflos fühlte, sondern weil diese Botschaftsflüchtlinge schon längere Zeit in der Ständigen Vertretung untergebracht waren und sich immer noch keine Lösung abzeichnete. Unter dieser Situation litt das deutsch-deutsche Verhältnis von Tag zu Tag immer mehr. Es wurden Verhandlungen unterbrochen, positive Perspektiven wurden verwischt und Fortschritte waren nicht mehr erkennbar. Das alles habe ich damals als einen Tiefpunkt in meiner Karriere empfunden. Zu einer Entspannung kam es erst, als die DDR dann endlich Verhandlungsbereitschaft signalisierte.
Sie lebten und arbeiteten insgesamt zehn Jahre in der DDR. In den 1970er Jahren als Leiter der politischen Abteilung und in den 1980er Jahren als Staatssekretär und Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Berlin. Wie nah sind Sie in diesen Jahren der DDR überhaupt gekommen?
Ich habe in der DDR gelebt und in diesen vielen Jahren kamen nach meinen groben Schätzungen um die 100 000 DDR-Bürger in die Vertretung. Die hatten die unterschiedlichsten Gründe, aber überwiegend ging es um Unterstützung bei Ausreiseanträgen. So wurden wir mit den Nöten von DDR-Bürgern unmittelbar konfrontiert. Wir haben auch zahlreiche Empfänge gegeben, zu denen ganz normale Bürger eingeladen wurden, die wir kennengelernt hatten. Bei diesen Empfängen haben wir keine Reden gehalten, sondern mit den Besuchern gesprochen und das oft auch mit großer Offenheit.
Obwohl Sie davon ausgehen mussten, dass die Staatssicherheit der DDR ihre Spitzel unter die Gäste gemischt hatte?
Natürlich gab es diese Überwachung. Das wusste jeder, auch die DDR-Bürger, die gekommen waren.
In Ihrem Buch schreiben Sie über Ihre Erfahrungen mit der Stasi. War das nur Geplänkel oder haben Sie das als eine Gefahr empfunden?
Weder das eine noch das andere. Natürlich war das eine nicht unerhebliche Belastung für uns. Wenn es dabei aber zu Vorkommnissen kam, bin ich sofort ins Außenministerium gegangen und habe mich beschwert. „Dekonspirieren“ nennt man das manchmal. Aber wir haben das auch zu nutzen gewusst.
In welcher Form haben Sie die Abhörmethoden der Stasi nutzen können?
Es gibt den Spruch: „Der Lauscher an der Wand hört seine eigne Schand.“ Die, die mitgehört haben, haben gelegentlich auch erkannt, welche Folgen die DDR-Politik im westlichen Ausland hatte. Und manchmal haben sie die Realitäten außerhalb der DDR durch das Abhören etwas besser erkannt.
In den Jahren nach der Wende von 1989 kamen viele Enthüllungen über das nicht gerade arbeiterklassegerechte Leben der Parteiführung und die äußerst perfiden Machenschaften der Staatssicherheit ans Licht. Hat Sie das in diesem Ausmaß überrascht?
Im Detail hat mich das sehr wohl überrascht, weil wir vieles gar nicht wussten. Aber generell war ich nicht sehr verwundert, denn einiges hatten wir schon geahnt.
Sie haben Jura studiert. Wie kam es, dass Sie dann in den Staatsdienst gewechselt und dann auch noch ausgerechnet in die DDR gegangen sind?
Mein Spezialgebiet war das internationale Recht. Nach meinem Studium war ich eine Zeit als wissenschaftlicher Assistent an einem Heidelberger Institut tätig und habe mich dann entschlossen, in den Auswärtigen Dienst zu wechseln, auch weil dort das internationale Recht eine wichtige Rolle spielt. Nach ein paar Jahren in England kam ich dann aufgrund meiner völkerrechtlichen Kenntnisse nicht unbedingt ganz zufällig in das Deutschland- und Berlin-Referat des Auswärtigen Amtes. Kurz darauf begannen die Verhandlungen mit der DDR, an denen ich aktiv teilgenommen habe, und bin dann auf diesem Weg in die Ständige Vertretung gekommen, als diese eröffnet wurde.
Sie schreiben, dass Sie sich mit der Wiedervereinigung Deutschlands 20 Jahre beschäftigt haben. Gab es Zeiten, in denen Sie glaubten, dass es dazu nicht mehr kommen würde?
Nein, das habe ich nie angenommen. Ich habe mir nur nicht vorstellen können, auch nicht in den 80er Jahren, dass die Wiedervereinigung sehr schnell möglich werden würde. Und das aus folgendem Grund: Die Teilung Deutschlands, die auch eine Teilung Europas war, war letztlich die Folge der sowjetischen Herrschaft über Ost- und Mitteleuropa. Und ich habe auch noch 1988, meinem letzten Jahr in der DDR, nicht glauben können, dass auch eine reformierte Sowjetunion unter Gorbatschow bereit sein würde, den Teil Deutschlands, der unter ihrem Einfluss stand, freizugeben.
Im Dezember 1988, wenige Tage bevor Sie Ihre Tätigkeit bei der Ständigen Vertretung in Berlin beendeten, sind Sie mit Ihrer Frau durch den verschneiten Park von Sanssouci spaziert und haben gesagt: „Hier könnte ich leben“. Zwei Jahre später sind Sie von Manfred Stolpe in die Brandenburgische Landesregierung geholt worden und dort bis 1999 Minister für Justiz-, Bundes- und Europaangelegenheiten gewesen. Doch Sie haben nicht in Potsdam, sondern in Berlin gewohnt. Warum sind Sie nie hierher gezogen?
Das hat private Gründe. Ich habe die ganze Zeit meiner brandenburgischen Ministertätigkeit meiner Frau zuliebe in Berlin gelebt, die dort berufstätig war. Ich wollte ihr einfach nicht zumuten, jeden Tag von Potsdam nach Berlin zu fahren. Außerdem hat mich Berlin, die Stadt in der wir all die Jahre in der DDR gelebt haben, nicht losgelassen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Hans Otto Bräutigam stellt heute, 18 Uhr, im Alten Rathaus, Am Alten Markt, sein Buch „Ständige Vertretung. Meine Jahre in Ost-Berlin“ vor. Der Eintritt ist frei.
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