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Kultur: Neckische Dreierspiele im Schlosstheater

Opernentdeckung: „The Dragon of Wantley“

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Rein nach der Quote ist "The Dragon of Wantley" der Renner gewesen. Nach der Premiere im Jahr 1737 lief die komische Oper 69 Mal hintereinander, das sind sieben Mal mehr als die fast gleichzeitig entstandene „Beggar’s Opera“. Dennoch trat letztere einen Siegeszug um die Welt an, während „Der Drache von Wantley“ und sein Komponist, John Frederick Lampe, so gut wie unbekannt blieben.

Mit der Neuinszenierung des „Dragon of Wantley“ gaben die Musikfestspiele Potsdam auch Gelegenheit, über den Sinn von Quoten nachzudenken. Denn der so vollmundig als Parodie auf die italienische Oper und Gesellschaftssatire angekündigte „Drachen von Wantley“ entpuppte sich über weite Strecken als neckisches Schäferspiel, als nette, leicht frivole Unterhaltung, der man gern den Erfolg zu ihrer Zeit abnimmt. Zu mehr als einem Aufhänger für die simple Handlung dient der bedrohliche Drache nicht. Zwischen den beiden Rivalinnen Margery und Mauxalinda entflammt ein Streit um den Trinker und Frauenheld „Moore of Moore Hall“. Diese Dreieckskonstellation gibt reichlich Gelegenheit zu wechselweise idyllischen, burlesken und angriffslustigen Gesang, meist in Form von langen Da-Capo-Arien, aber auch als Duett, Trio oder, seltener, Quartett.

Die junge Sopranistin Joana Seara brilliert in lyrischen und kecken Arien mit klarer, anmutiger, beweglicher Stimme. Sie überzeugt auch mimisch und gestisch und besitzt die stärkste Bühnenpräsenz. Tamsin Dalley als zweiter Sopran in der Rolle der hitzigen Nebenbuhlerin steht dem gesanglich und schauspielerisch nur wenig nach, was aber zu ihrer undankbareren Rolle durchaus passte. Den Wichtigtuer Moore of Moore Hall gibt Daniel Auchincloss mit hellem Tenor, geschmeidigen Gesangslinien und Spielfreude. Bassist Nicholas Warden füllt die kurze Partie des Drachen mit seiner tiefdunklen, vollen Stimme gut aus. Die Musik von John Frederick Lampe, der als Fagottist in Händels Opernorchester mitspielte, zeigt Talent und Ambition, aber kaum Originelles. Einige lyrische Arien und die gesungene Fuge für Quartett zu Anfang gehen über das Mittelmaß hinaus, letztlich aber überwiegt die Imitation. Dem entspricht durchaus, dass Meister Lampes Metier Nachahmungen und Parodien waren. Unter der Leitung von Gary Cooper bildet die Akademie für Alte Musik Berlin einen stilechten Rahmen und spielt mit souveräner Verve und Klangfülle auf alten Instrumenten.

Doch erst die von Studenten des Studiengangs Theatre Design, Liverpool, entworfenen Kostüme akzentuieren das szenisch ziemlich biedere Spiel. Hier wagte man die hemmungslose Übertreibung, den frechen Witz, der der Inszenierung fehlte. Margery im blumenbesetzten Reifrock und Hutkranz ergibt so recht das Bild einer Unschuld vom Lande, die sich mit allen Liebestricks auskennt. Fulminant die Rivalin Mauxalinda ganz in rot mit Netzstrümpfen und einem veritablen, funktionierenden Samtvorhang vor dem Schoß. Was da zu Vorschein kommt, sorgt überwiegend für Verblüffung und Heiterkeit. Köstlich auch Moore mit dem Tiger als Umhang und als glitzernde, Kampf- Stachelkugel. Klar, dass man nur so den Drachen besiegen kann, der mit einem giftgrün-flammendgelben Kostüm wie aus dem Kindertheater entlaufen wirkt, albern, aber lustig. Auch das Bühnenbild mit wandlungsfähigen Bildern von ländlicher Biederkeit zeigt einigen Einfallsreichtum und trägt zum Erfolg bei.

Mit den alten Sachen ist es fast so wie mit der Stecknadel im Heuhaufen. Unter einem Haufen von Plunder findet sich mit Glück mal etwas Wertvolles, das zu Unrecht in den Kellern des Vergessens gelegen hat. Vielleicht wäre der „Dragon of Wantley“ nicht in den Archiven vergessen worden, hätte man im 18. Jahrhundert schon Quoten gemessen. Doch seine Aufführungsgeschichte zeigt, dass im Bereich der Kunst andere Gesetze gelten. So möge der Drachen von Wantley weiterhin im Verborgenen ruhen.

Babette Kaiserkern

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