Von Lena Schneider: Neros Fußstoß
Die norwegische Choreografin Ingun Bjørnsgaard mit ihrem Stück „Poppea“ bei den Internationalen Tanztagen in der fabrik
Stand:
Poppea muss eine erstaunliche Frau gewesen sein. Dreimal verheiratet, zuletzt mit dem berühmt und berüchtigt gewordenen Kaiser Nero. Drei Ehen waren und sind nichts wirklich Außergewöhnliches, als Hure wurde Poppea dennoch schon zu Lebzeiten gebrandmarkt. Vielleicht auch der krankhaften Leidenschaft wegen, mit der Nero ihr verfallen war: Der brachte, um sich mit ihr zu vermählen, unter anderem Mutter Agrippina und Gattin Octavia um die Ecke und soll sich nach Poppeas Tod einen Sklavenjungen mit ihrem Namen gehalten haben.
Gestorben ist Poppea, Ironie der Geschichte, angeblich durch einen Fußtritt, den Nero ihr im Zorn versetzte. Die norwegische Choreografin Ingun Bjørnsgaard macht in ihrem Stück „Poppea“ diesen Fußtritt, dieses in seiner Absurdität so komisch wie schmerzliche Detail der Geschichte, zu einem Hauptmotiv. Immer wieder setzen die fünf Tänzer Erik Rulin, Mattias Ekholm, Lone Torvik, Ida Wigdel und Aleksandra Sende die Füße einander auf Hüfte, Hintern oder Bauch; immer wieder fällt der oder die so Berührte, rollt oder taumelt zur Seite und steht wieder auf. Die Rollen werden immer wieder neu verteilt: Wer eben noch taumelte, ist im nächsten Moment selbst der oder die Zutretende. In der Liebe stecken alle ein. Und alle teilen aus. So weit, so gut, so naheliegend.
Es gäbe einige Themen und Fragen, die Poppea aus der Antike ins Heute holen. Wie eine männliche Welt auf eine so mächtige wie schöne Frau reagiert etwa, wie und warum daraus der Mythos einer männergeilen Hure gestrickt wurde. Oder welcher Strategien sich eine, so würde man wohl heute sagen, „karrierebewusste“ Frau damals bediente und heute bedient, oder inwiefern sich ihrer bedient wurde. Dass Bjørnsgaard zwar an diesen Fragen interessiert ist, sie sie aber vor allem durch nachgezeichnete Klischees beantwortet, zeigt die Kostümierung (Thomas Björk): Lone Torvik, mit hellblondem Dutt, trägt einen kurzen Rock, der, wenn sie ihn ablegt, einen weiß-puscheligen Karnickelschwanz preisgibt (männliches Wunschdenken à la Playboy-Bunny?). Ida Wigdel trägt langes offenes Haar und über dem moosgrünen Samtkleid eine weiße Kellnerinnen-Schürze, die sie dann abnimmt, um einen wilden Messer- und Kopfkissentanz aufzuführen (die „Domina“ unter den Klischees: befreite, entfesselte Weiblichkeit?). Und Aleksandra Sende, mit kurzem Bubi-Schnitt und in kurzer Hose, gibt den knabenhaften, widerspenstigen Wildfang, der sich gegen Weiblichkeitsklischees sträubt (und dabei selber eins darstellt).
Ob als Facetten der Poppea oder des Nero, Aspekte von Persönlichkeiten in Kostümen zu denken, wirkt doch arg einfach, humorige Intention hin oder her. Ironische Zuspitzung funktioniert, wenn sie auf eine inhaltliche Pointe zielt, und die lässt sich hier kaum finden. Was ausgesagt werden soll, wird direkt gesagt. Wenn etwa Männlichkeit bloßgestellt wird, dann indem Boxershorts entblößt werden, und der Halbnackte mit um die Knöchel schlackernden Hosen abstolpern muss.
Überhaupt ist der Humor eigen: Auf die sehr vom klassischen Ballett inspirierten Bewegungen hagelt es mal zusammengeknüllte Zettelchen, mal leere Bierdosen, und in einem besonders zarten Moment schleicht wie unbeabsichtigt ein Tänzer im Hintergrund über die Bühne. Diese Brechungen untergraben das Bühnengeschehen, und das ist wohltuend. Und doch verpuffen sie: Spuren, Provokationen, die inhaltlich nichts Neues aufzeigen.
Über allem hängt dick und fett ein Teppich aus Sound – mal Tuba-Rhythmen, mal Atemstöße und über weite Teile hinweg die zauberhafte Musik von Monteverdis „L''incoronazione di Poppea“. Wie die Oper endet „Poppea“ in einer Liebesorgie. Verknüpft in eine endlose Kette aus Händen, Füßen, Hintern und Bäuchen, schlängeln sich die fünf Tänzer im Schlussbild über einen grünen Berg aus Samt. Das ist, wieder mal, sehr schön. Und sonst? Vom Fußstoß Neros, dem hässlichen Ende der historischen Poppea, ist das wieder weit weg. Aber vielleicht ging es auch gar nicht darum. Welche Frage der Abend denn eigentlich stellen wollte, bleibt offen.
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