Kultur: Neu und quer gedacht
Unidram bot an fünf Tagen ein prall gefülltes Festivalprogramm: Tanz traf auf Schauspiel, Puppentheater auf Clownerie
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Ratlosigkeit. „Hast Du verstanden, um was es da eigentlich ging?“, fragt eine Besucherin ihre Begleiterin nach der Aufführung des Tanzstücks „Die Kaffeetrinkerinnen“. Die hat da so eine Idee, schließlich hat sie vorher das Programmheft gelesen. Benötigt man als Zuschauer einer zeitgenössischen Theaterinszenierung also eine Gebrauchsanweisung? Die Antwort ist ein klares Nein. Was hilft eine Erklärung, wenn ich nicht selber erspüre, was mir da vorgesetzt wird?
Die Schweizer Anarchos der „kraut_produktion“, die mit ihrer respektlos erfrischenden und radikalen Inszenierung „Von der Kürze des Lebens“ so ziemlich alles Maß nahmen, was in der heutigen Medien- und Kunstlandschaft aus den Fugen gerät, bringen den Widerspruch auf den Punkt: „Da wird immer gesagt: Die Künstler sollen das Publikum abholen. Aber bloß von wo?“ Früher habe der Zuschauer sich geschämt, wenn er etwas nicht verstanden hat, was auf der Bühne präsentiert wurde. Heute klagt er an und zeigt sich emanzipiert. Er spielt selbstbewusst den Ball zurück. Wenn der Zuschauer sagt: Das habe ich nicht verstanden, soll der Künstler gefälligst über sich selbst nachdenken. „Senkt das im Voraus das Niveau, beschneidet sich der Künstler schon im Vorfeld, weil er denkt, nicht verstanden zu werden?“ Fragen, die die Züricher in ihrem bildwuchtigen Szenenreigen wie nebenbei aufwerfen.
Bei Unidram wurden so viele Türen geöffnet, dass wohl jeder Besucher Räume fand, von denen er sich gefangen nehmen lassen konnte, die er gern betrat und mit viel Gewinn für Kopf und Herz wieder verließ. Andere blieben ihm wiederum verschlossen. Was dem einen die Seele weitet, bleibt dem anderen verborgen. Gerade weil im freien Theater immer weniger Geschichten geradlinig erzählt werden, in denen man im psychologisch genauen Spiel der Entwicklung der Figuren folgen kann. Vieles bleibt im Ungefähren, setzt mehr auf videoclipartige Sequenzen als auf dramatische Erzählstrukturen. Da werden auch Klassiker ungeniert auf den Kopf gestellt, eingedampft und ins Heute destilliert. Bei der grellbunt zupackenden Farce „Kleist: Heute“ funktionierte dies bestens, bei „Schuld und Sühne“ verließen einige entrüstet die Vorstellung. Andere klatschten begeistert. Theater heute, und damit auch das „Unidram“-Festival als dessen Spiegel, polarisiert – und das ist gut so. Es zeigte internationale Kunst aus zehn Ländern in ihren unterschiedlichsten Ausformungen: vom warmherzigen Puppenspiel bis zum kühl kalkulierenden gespreizten Tanz. Wenn Nicola Unger mit computeranimierten Punkten und Strichen ganze Gesellschaftspanoramen auf die Bühne beamt, bewegt sie mit ihren bewegungsreichen Geisterspielen aus der Blackbox wahrlich nicht jeden. Die Reihen lichten sich. Aber frönte diese Regisseurin nur der eigenen Selbstherrlichkeit, negierte sie bewusst das Publikum? Auch hier ein klares Nein. Man spürte die Idee dahinter, auch wenn sie nicht die erwartete Magie versprüht, die alle mitreißt. Vielleicht fehlte ihr ein beratender Dramaturg, der an Publikums statt schon vorher mal die Wirkung testete?
Es sind vor allem Collagen, in denen sich das experimentierfreudige junge Theater ausprobiert. Alles wird auf Tauglichkeit geprüft, greift ineinander über und wird verzahnt: Das alt hergebrachte Puppen- und Maskenspiel bekommt neue Ausformungen und vereint sich mit moderner Computertechnik. Da wird einfach neu und quer gedacht: Tanz trifft auf Schauspiel, Slapstick auf Clownerie. Und vor allem die Macht der Musik wird zelebriert. Manchmal bis zum Überdruss, bis zur Schmerzgrenze: wie in Zaches Teatro „Mal Bianco“ aus Italien, die mit ihren psychedelischen Klängen zu elegisch getanzten Bildern geradezu Horrorvisionen heraufbeschwor.
Doch den Veranstaltern vom T-Werk ist bei der Auswahl der Arbeiten nicht nur ein gutes Gespür für die Vielfalt an neuen Strömungen zu bescheinigen, sondern auch eine gut funktionierende Dramaturgie durch die Abende. Wer sich auf den zeitlich perfekt aufeinander abgestimmten Marathon durch die verschiedenen Vorstellungen einließ, bekam eine gut temperierte Melange aus Heiß und Kalt, Laut und Leise, Komik und Dramatik präsentiert – auch wenn er am Ende der Reizüberflutung erlegen war.
Wie am Samstag zum nächtlichen Schlussakkord mit „Zic Zazou“ aus Frankreich, die den erschöpften Besucher aber noch einmal vom harten Stuhl der Waschhaus-Arena zu reißen vermochten. So wie der Puppenspieler Neville Tranter in seiner bizarren Afghanistan-Satire mit handgemachten Klappmaulpuppen den Zauber des ganz unmittelbaren Spiels beschwor, bestachen auch die Sound-Arbeiter von Zic Zazou mit ihrer Ursprünglichkeit. In ihrer Fabrik wurde jeder Gegenstand zum Tonspender: beim Pfannen-Ping-Pong, Sägen, Hämmern, Flaschenpfeifen - ein ausgelassenes funkensprühendes Brigadehappening. Ein Zusammenspiel, so wie es auch die verschiedenen Compagnien bei Unidram boten – mit all ihren Quer- und Misstönen, doch im Schlussakkord durchaus stimmig.
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