Kultur: Neue Farbtableaus und neue Farbräume
Farbpunktmalerei von Kuno Gonschior in der Galerie für konkrete Kunst Potsdam
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Farbpunktmalerei von Kuno Gonschior in der Galerie für konkrete Kunst Potsdam Ein Flimmern und Flirren zwischen den Punkten, ein Kreisen und Schwingen, ein Vibrieren und Pulsieren, ein Strahlen und Leuchten – der Berliner Maler Kuno Gonschior, der im September seinen 70. Geburtstag begeht, erarbeitet auf der Grundlage des Simultankontrastes wundersame, jede Bildgrenze sprengende Farbtableaus, die uns bei längerem Verweilen in imaginäre Farb-Räume entführen. Die Choreographie des Malaktes muss abgestimmt sein auf die Nähe und Ferne zwischen Maler und Leinwand beziehungsweise Segeltuch, auf die Nachgiebigkeit des Malgrundes beim Auftragen der schweren pastosen Farbsubstanz, auf die Höhungen und Vertiefungen, die amorphe, reliefhafte Struktur, die sich trotz der seriellen Reihung der Farbimpulse ergibt. Die pigmentierten Farben haben eine ungeheure energetische Kraft, die sich über die ganze Tafel ausbreitet. Ein Daneben, Darüber, Dazwischen der Farben als Flecken, in einem Verändern, Verdichten, Vernetzen der Leinwand, bis die Signalkraft der Farben verklingt und ein atmendes, von Impulsen erregtes Bildfeld entsteht, ein Bildraum, der seine Tiefe nur der optischen Bewegung austauschbarer farbiger Teilchen verdankt. Immer geht es Gonschior um die Elementarwirkung des Malprozesses. Allerdings engt er das nicht auf die „Primärfarben“ Rot-Gelb-Blau ein, sondern demonstriert, wie aus den drei Komponenten unseres Sehorgans, den sogenannten „Unfarben“ Violettblau, Grün und Orangerot, sich acht Variationsmöglichkeiten ergeben: die zwei unbunten Grundfarben Weiß und Schwarz und die sechs bunten Grundfarben Gelb, Magentarot, Cyanblau, Violettblau, Grün und Orangerot. In Gonschiors Farbpunktmalerei – er spricht lieber von farbigen Partikeln oder Teilchen als von Punkten – werden wir in größte Irritationen gestürzt, dann breiten sich vor unseren Augen wieder beruhigende Farbteppiche aus, wir glauben ein Landschaftspanorama (Wasser, Erde, Himmel) vor uns zu haben oder schauen tief hinein in die Abgründe unserer Seele. Metamorphosen des ursprünglich Gesehenen, in ständigem Wechsel begriffen durch unsere ganz eigene Art der Farbempfindung. Die Analogie zum Prozess der Schöpfung, des Werdens und Aufblühens aus dem Dunkel bleibt bei Gonschior durchaus offen und kann vom Betrachter ganz verschieden erlebt werden. Jede Arbeit ist solitär, verläuft unregelmäßig-zufällig, es entstehen Mal-Objekte, Mal-Körper, deren Übergang in die dritte Dimension durch das Abheben der Farbmasse aus der Fläche in den Raum erkennbar wird. Die ungrundierte Leinwand als einheitliche Folie hinter dem mal impressiven, mal expressiven Farbgeschehen übernimmt die aktivierende Steigerungsfunktion der komplementären Farbkontrastierung. Der Seh-Vorgang auf diesen Tafeln erscheint gewissermaßen reziprok zur scheinbaren Einfachheit der Farb-Verteilung. Eine All-over-Struktur ohne Zentrum, ohne Richtung signalisiert: Das Bild ist das Bild, nichts weiter. Doch das Auge sucht sich einen Halt zu verschaffen, entdeckt geheime Verbindungen zwischen den wahllos-zufälligen An-Ordnungen der Farb-Inseln, stellt Bildtiefe her und bestärkt so die Auffassung vom Objektcharakter dieser Malerei. Hinter dem Künstler Gonschior steht der Wissenschaftler, sein analytischer Drang zur Untersuchung des Phänomens Farbe. Er führt uns die Abhängigkeiten unserer Farbwahrnehmung, die Überlagerungen, die simultanen Kontraste vor Augen. Er zerstört die Farb/Form-Relation, löst sie auf, atomisiert sie. Eine wunderbare Schau, vorzüglich sind die Arbeiten gehängt und gewähren dem rundumlaufenden Blick eine kaleidoskopische Sicht von Frequenzen, Bewegungs-Abläufen, Rhythmen, Übergängen, Stauungen und Anschwellungen der Farbe. Galerie für konkrete Kunst Potsdam, Friedrich-Ebert-Str. 33, Fr-So 14-17 Uhr, bis 25. September.
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