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Kultur: Neue Formen der Gewalt

Was ist Terrorismus, wie ihm begegnen? Naumann, Reemtsma, Rorty und andere im Einstein Forum

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Was ist Terrorismus, wie ihm begegnen? Naumann, Reemtsma, Rorty und andere im Einstein Forum Von Dagmar Schnürer Aus dem Publikum kam immer wieder die Frage, was ganz konkret zu tun wäre gegen die Probleme und Gefahren, welche die einzelnen Vorträge skizzierten. Tatsächlich kann eine Runde, die weithin anerkannte Köpfe wie Richard Rorty, Michael Naumann, Jan Philipp Reemtsma und andere vereint, leicht das Bedürfnis wecken, von ihrer Klugheit sozusagen gerettet und endgültig angeleitet zu werden. Zu Beginn der internationalen Konferenz im Einstein Forum über „Terror, International Law, and the Bounds of Democracy“ machte Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums, deutlich, dass ein permanentes Nachdenken entscheidender sei, als das Festmauern endgültiger Definitionen, Regeln und Verhaltensweisen. Wie der südafrikanische Maler, Aktivist und Autor Breyten Breytenbach zu bedenken gab, wird der Begriff „Terrorist“ gerne missbraucht, um all diejenigen abzustempeln, die anders denken als man selbst. So konnte sich Breyten Breytenbach zum Beispiel als ehemaligen „Terroristen“ einführen, da ihn das Apartheidregime 1975 mit dieser Bezeichnung ins Gefängnis gesteckt hatte. Und Menschen, die heute üblicherweise Terroristen genannt werden, sehen sich selbst als „Helden“, wie Michael Naumann, Mitherausgeber und Chefredakteur der „ZEIT“, in seinem Vortrag über mythologische Aspekte des revolutionären Terrorismus betonte. Jan Philipp Reemtsma, Literaturprofessor, sowie Gründer und Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, schloss sich der Definition von Michael Walzer, Professor für Soziologie in Princeton, an: „Terrorismus ist das Töten aufs Geratewohl von unschuldigen Menschen in der Hoffnung, eine alles durchdringende Angst zu erzeugen.“ Pessimistisches Zukunftsszenario Der amerikanische Philosoph und Professor für vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Stanford, Richard Rorty, gab jedoch zu, dass bei ihm die Reaktionen der amerikanischen Regierung auf den Terrorismus weitaus mehr Angst erzeugen, als terroristische Gewaltakte an sich. Er zeichnete ein provozierend pessimistisches Zukunftsszenario, in dem sich die Demokratien der Welt selbst abgeschafft haben. Warum, so fragte Richard Rorty, wird auf terroristische Gewalt mit Beschränkung der bürgerlichen Freiheit und der Institutionen, die den Kern einer Demokratie ausmachen, reagiert? Er warnte vor einem möglichen wohlwollenden Despotismus, wenn quasi versehentlich die Rechtsordnung und der Einfluss der öffentlichen Meinung ausgeschaltet würden. Und er forderte mehr Interesse der Öffentlichkeit an den Machenschaften ihrer Regierung, was eventuell zu einer Debatte führen könnte, die demokratiegefährdende Fehler vermeiden würde. Es lässt sich eine Entwicklungsgeschichte des 11. Septembers 2001 aufzeigen, die für den in Uganda geborenen Professor für Anthropologie und Afrikanistik, Mahmood Mamdani, mit dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam 1973 und dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches in Afrika beginnt. Auch lässt sich eine Tradition des Selbstmordattentäters in der jahrtausendealten Geschichte des heroischen Selbstopfers finden, die Michael Naumann beleuchtete. Als neu bewertete Michael Naumann die Säkularisierung dieses Opfers. Doch das Phänomen, sich selbst mutig für eine „größere“ Sache zu opfern und dabei andere mit in den Tod zu reißen, sei keine neuartige Erscheinung. Dan Diner dagegen, Professor für Geschichte in Israel und Leipzig, konzentrierte sich auf der Potsdamer Tagung auf die Seiten des Terrorismus, die bisher Dagewesenes sprengen. Wenn Gewalt gegen Staaten oder Menschengruppen nicht von einem Staat ausgeht und auch keinen neuen oder anderen Staat zum Ziel hat, und wenn es in einem Kampf nicht mehr darum geht, selbst am Leben zu bleiben, dann hilft unser Verständnis von Recht, Krieg und Gewaltbeschränkung nicht mehr weiter. Und wenn Terroristen, wie Reemtsma schilderte, ihren einzigen Lebenssinn im zerstörerischen Selbstmord als Kampf gegen das „Böse“, aber nicht im Dienst für irgendetwas sehen (für eine Religion oder Politik), dann ist es an der Zeit, diesen neuen Formen mit neuen Formen der Gewaltbegegnung aufzuwarten. Und zwar mit Formen, die nicht ihrerseits in terrorverdächtige Bahnen führen.

Dagmar Schnürer

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