Kultur: Nicht „aus dem Ärmel geschüttelt“ Thomanerchor sang in der St. Nikolaikirche
Beide Komponisten, Johann Sebastian Bach und Hugo Distler, ähneln sich in den Stilelementen der Musik: beispielsweise in der Selbstständigkeit der Stimmen und der intensiven Wortorientierung. Das Konzert am Dienstag mit dem Thomanerchor Leipzig in der leider nicht ausverkauften St.
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Beide Komponisten, Johann Sebastian Bach und Hugo Distler, ähneln sich in den Stilelementen der Musik: beispielsweise in der Selbstständigkeit der Stimmen und der intensiven Wortorientierung. Das Konzert am Dienstag mit dem Thomanerchor Leipzig in der leider nicht ausverkauften St. Nikolaikirche gab solcherlei Feststellung breiten Raum. Auch dass Distler wesentliche Impulse von Heinrich Schütz empfing, war natürlich nicht von der Hand zu weisen. Die weltberühmten Thomaner unter der Leitung von Thomaskantor Georg Christoph Biller haben sich in ihrem Potsdamer Konzert diesen bedeutenden Kirchenmusikkomponisten des 18. und des 20. Jahrhunderts zugewandt.
Leider ist derzeit Hugo Distler, der am 24. Juni seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, im Repertoire von Kirchenchören nicht sehr gefragt. Sind seine meisten Motetten für den gottesdienstlichen Gebrauch geschrieben, so können sie eine gewisse Herbheit in der Tonsprache nicht verbergen, aber sie sind vor allem rhythmisch und intonatorisch von großem Anspruch. Die Thomaner und ihr hohes Leistungsvermögen, die Distler in den dreißiger Jahren während seines Studiums in Leipzig kennenlernte, standen ihm bei seinen Kompositionen vor Augen. So, wie sie die Chormusik singen, so wollte er seine Werke interpretiert wissen. Auch wie die heutigen Thomaner seine Motetten darbieten, hätte dem Komponisten gefreut.
Georg Christoph Biller wählte für das Programm drei Werke aus der „Geistlichen Chormusik“ aus: das festlich-strahlende „Singet dem Herrn ein neues Lied“, das ausdrucks- und facettenreiche „Das ist je gewisslich wahr“ sowie die stille und geschlossene Begräbnis-Motette „In der Welt habt ihr Angst“. Biller animierte seine jungen Sänger stets zu einer äußerst sorgfältig deklamierten und phrasierten Darstellung. Mit welch einem wunderbar zu Herzen gehendem Piano wusste der Chor die Begräbnis-Motette zu singen.
Die Homogenität und Klangschönheit der Thomaner waren auch an diesem Abend zu bewundern, nicht nur bei Distler, sondern natürlich auch bei ihrem Bach. Die Motetten ihres großen Hauskomponisten sind ihnen in Fleisch und Blut übergegangen. Aber sie sind nicht so „aus dem Ärmel zu schütteln“, sondern sie benötigen immer wieder eine große Konzentration und technische Perfektion. Das wissen die Choristen. Die drei gesungenen Werke „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“ (hierbei musste man sich noch auf die nicht einfache Raumakustik einstellen), „Ich lasse dich nicht“ und „Fürchte dich nicht“ wurden zu Kostbarkeiten Bach“scher Interpretationskunst. Zum Schluss erklang der festlich-mitreißende Lobgesang „Jauchzet dem Herrn, alle Welt“ nach Bearbeitungen von Telemann und Bach.
Zwischendurch ließ Thomasorganist Ullrich Böhme die Orgel von St. Nikolai mit Werken von Bach, Johann Schneider und Johann Ludwig Krebs erklingen. Die Auswahl und das Spiel hatten weniger etwas Herausforderndes, sie wirkten eher als hübsche Verschnaufpausen für die Thomaner. Großer Beifall für Sänger, Dirigenten und Organisten.Klaus Büstrin
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