Kultur: Nicht gefällig
Intersonanzen-Diskussion um die Neue Musik
Stand:
Die „Intersonanzen“ 2011 präsentieren nicht einfach nur das Neueste aus der Szene. Mit seinem Begleitprogramm bemüht sich der Brandenburgische Verein Neue Musik als Veranstalter auch um Selbstverständigung und gesellschaftliche Orientierung. So wurde bei einem Rundtischgespräch gefragt, ob die neue Musik denn hierzulande wirklich nur auf taube Ohren stoße. Für die neuen Komponisten ist Genuss natürlich selten ein Thema, sie suchen lieber nach Gegenwart, nach Erkenntnis – und dem angemessenen Ausdruck dafür, der nicht immer jedem Ohr schmeichelt.
Zum Rahmenprogramm „Intersonanzen“, dem brandenburgischen Fest der Neuen Musik in Potsdam, das am vergangenen Wochenende begann und am kommenden Wochenende weitergeführt wird, gehörte auch der Vortrag des Moskauer Komponisten Anton Safronow zur aktuellen Situation russischer Komponisten zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion. Erste Erkenntnis: An die Stelle der staatlichen Zensur traten schon zur Jelzinschen Zeit die mächtigen Musik-Manager. Keinen Deut besser als die alten Apparatschiks bestimmen sie fortan, was an neuer Musik auf den Markt kommt. Ein Teil der russischen Komponisten fügt sich ihrem Zensor-Diktat und komponiert eher gefällig, weil man so auch mal an einem großen Festival in Westeuropa teilnehmen darf. Ein anderer versucht, seine Freiheit zu bewahren – und landet, mit etwas Glück, bei den „Intersonanzen“. Nach dem Zerfall der Sowjetunion verlor die Szene die Hälfte ihrer Komponisten. Da auch die Netzwerke zwischen den Ex-Republiken wegbrachen, sei es heutzutage leichter, ein Festival zwischen der Russischen Föderation und Westeuropa zu organisieren, als eines mit Litauen oder Georgien. Neunzig Prozent der Aktiven drängten sich in den beiden alten Hauptstädten Moskau und St. Petersburg, der Rest verteile sich auf Provinzstädte wie Nishny Novgorod, Novosibirsk oder Perm, so Safronow.
Für hiesige Verhältnisse eher ungewöhnlich war die Art, wie Safronow die russische Musikszene beschrieb: Einerseits band er sie kettenfest an die gesellschaftliche Umstände: Wenn etwa Stagnation herrschte, spiegele sich das auch im Düstergrad von Kompositionen wieder. Am Moskauer Konservatorium dürfen Lehrkräfte auch jenseits der Pensionierung lehren, es gibt dort allein zehn Professoren für das Auslaufmodell Komposition. Wie er im Jahr zwanzig nach der russischen Wende das Fehlen eines „Musikinformationszentrums“ nach niederländischem oder finnischem Vorbild beklagte, so die mangelhafte Streitbereitschaft unter den Musikern hier. Früher fetzte man sich wegen Henze und Lachenmann, heute gäbe es weit und breit nur Konsens. Vielleicht, weil die Deutschen Angst vor ihrer Vergangenheit hätten, wie die Russen Angst vor der Zukunft?
Inhaltlich sei ab den neunziger Jahren eine zunehmende Tendenz zur Metaphorik bei den russischen Komponisten erkennbar, wie Safronow an einem Musikbeispiel der Komponistin Olga Rajewa, dem geräusch-intensiven „Minotaurosträume“, bewies. Andererseits gäbe es, neben radikal-westlichen Tendenzen, auch einen russischen Standard. Während man aber unter dem Schirm der Globalisierung gern Platonow und Chlebnikow vertont und viel experimentiert, meidet man nach Safronow derzeit Namen wie Tschaikowsky und Rachmaninow: Wegen „gefährlich-völkischer Tendenzen“. Gerold Paul
Weitere Informationen zum Programm im Internet unter www.intersonanzen.de
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: