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Kultur: „Nicht ich bin der Mörder, sondern er“ Rolf Hosfeld las aus „Operation Nemesis“

Gründe des Gedenkens, Erinnerns und Trauerns gäbe es augenblicklich genug. In diesen Tagen sei das Erinnern zu einem besonderen Bestandteil unserer Alltagskultur geworden.

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Gründe des Gedenkens, Erinnerns und Trauerns gäbe es augenblicklich genug. In diesen Tagen sei das Erinnern zu einem besonderen Bestandteil unserer Alltagskultur geworden. Sagt Hans-Ullrich Schulz, Generalsuperintendent und Vorsitzender des Fördervereins Lepsius-Haus in Potsdam. Als er den renommierten Journalisten Rolf Hosfeld vorstellt, der bei der URANIA in den soeben neu eingerichteten Räumen in der Gutenbergstraße 71/72 aus seinem neuen Buch „Operation Nemesis - die Türkei, Deutschland und der Völkermord an den Armeniern“ (Kiepenheuer&Witsch) liest. „Nicht ich bin der Mörder, sondern er, sagte der junge Armenier, Soghomon Tehlirjan, einen Moment nach dem tödlichen Schuss zu der Polizei. Taalat Pascha, davon ist Tehlirjan überzeugt, gehöre zu den Hauptverantwortlichen für den Völkermord, den das Osmanische Reich während des Ersten Weltkrieges an den Armeniern verübt hat.“ Mit dem in Berlin sorgfältig geplanten Attentat an dem ehemaligen türkischen Großwesir und dem anschließenden Prozess 1921 beschäftigt sich das Buch Hosfelds eingehend. Trotz des eindeutigen Tatbeweises hätte der Prozess zu einem spektakulären Freispruch des jungen Armeniers geführt, der Mitglied des geheimen Kommandos „Nemesis“ gewesen sei. Das Kommando hatte sich zum Ziel gesetzt, die untergetauchten Haupttäter des ersten großen Genozids an den Armeniern von 1915 bis 1917 zu richten. Bereits 1919 wären Talaat und seine Komplizen in Konstantinopel zum Tode verurteilt worden. Sie konnten nahezu ausnahmslos fliehen. Tallat erhielt in Berlin Asyl. Nach einer langen Serie von Pogromen begann der staatlich geplante Genozid am 24. April vor 90 Jahren mit der Verhaftung, der Deportation und der grausamen Vernichtung der armenischen Intellektuellen. 1,4 Mio. Armenier wurden innerhalb von zwei Jahren getötet. Der Berliner Prozess 1921 zeigte, so Hosfeld, die Notwendigkeit der Erarbeitung einer internationalen Völkerrechtskonvention und beförderte deren Entwicklung erheblich. Der Bogen ließe sich direkt zu den Nürnberger Prozessen spannen. In mehrfacher Hinsicht. Bereits 1919 habe Johannes Lepsius auf der Grundlage des Studiums der Akten des Auswärtigen Amtes und der Kaiserlichen Botschaft den Genozid an den Armeniern in seinem Bericht „Der Todesgang des armenischen Volkes“ in Deutschland öffentlich gemacht und auf die fatale Verquickung der deutschen Diplomatie am Verschweigen der Völkermordes hingewiesen. Wegen seiner ausgezeichneten Kenntnisse wurde Lepsius im Tallat-Prozess vom Gericht zum Sachverständigen berufen. Auch Hosfeld dienten die Akten des Auswärtigen Amtes als wichtigste Arbeitsgrundlage. Akribisch genau versucht Hosfeld die komplizierten politischen Prozesse innerhalb des Osmanischen Reiches unter Sultan Abdul Hamid II bis zur Gründung der Türkischen Republik 1923 unter Kemal Atatürk in seinem Buch zu erklären. Und ihre differenzierte Interpretation in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen. Und Hosfeld beschreibt, wie Talaat Pascha nach dem Attentat mit großen Ehren in Berlin beigesetzt wurde: „Man sieht die ehemaligen Außenminister Richard von Kühlmann und Arthur Zimmermann neben einem Chef der deutschen Bank und dem Ex-Direktor der deutschen Bagdadbahn. Diverse Militärs, die während des Kriegs auf türkischer Seite im Orient gedient haben, sind erschienen.“ Das Begräbnisszenario könnte die Interessenverquickung nicht besser beschreiben. Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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