Von Heidi Jäger: Nicht mehr links abbiegen
Tobias Wellemeyer verteidigte seine Idee vom Aus des Jungen Theaters und einem integrierten Angebot
Stand:
Warum muss etwas abgeschafft werden, was gut funktioniert? Diese Frage stand am Dienstagabend im Raum, als nach der Vorstellung des neuen Spielplans über die bevorstehende Einstampfung des Jungen Theaters in der Reithalle A diskutiert wurde. Auf der „Anklagebank“ saß Abwickler Tobias Wellemeyer, designierter Intendant des Hans Otto Theaters. Er hatte zuvor angekündigt, künftig das Theater für Kinder und Jugendliche nicht mehr separat in einem Haus anbieten zu wollen, sondern es in der Mitte des gesamten Spielbetriebs anzusiedeln. „Wir wollen Theater für junge Zuschauer, aber nicht mit einem eigenen Ensemble“, betonte er. In Magdeburg sei das Kinder- und Jugendtheater Herzensthema für alle: „von der Dramaturgie bis hin zur Technik,“ so der Generalintendant.
Dort fühle er sich nach acht Jahren indes „auserzählt“. „Das Chaos ist verbraucht“. Nun also erwartet Potsdam ein neues Chaos.
Es sei ein normaler Vorgang, dass ein Großteil des Ensembles ausgewechselt werde, wenn ein neuer Intendant Einzug halte, sagte Hans Nadolny, persönlicher Referent des Noch-Intendanten Uwe Eric Laufenberg in dem Podiumsgespräch. Als dessen Crew vor fünf Jahren antrat, wurde ebenfalls Schauspielern gekündigt und neuen Leuten Raum gegeben. „Wir haben uns aber werterhaltend benommen und das Kinder- und Jugendtheater, das es schon fünf Jahre als eigene Sparte gab, nicht angetastet. Als wir sahen, dass in diesem Bereich 4100 Abos existierten, im Schauspiel indes nur 165, hüteten wir uns davor, etwas anzutasten.“ Die Entscheidung war offensichtlich richtig, denn heute hat das Theater sogar 7777 Abonements im Kinder- und Jugendtheaterbereich, und 1900 im Schauspiel.
Tobias Wellemeyer warnte indes davor zu sagen, die eine Struktur sei richtig, die andere falsch. „Umbrüche sorgen natürlich für Unruhe, aber sie ist auch eine Zeit für große Kraft. Und die Neugierde sollte größer sein als das Vorurteil.“
Nicht das Ob, sondern das Wie sei hier die Frage, so Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzenrums in der BRD. Er glaube, dass es nicht reiche, wenn junges Theater Herzensangelegenheit sei. „Ein integratives Modell kann funktionieren: aber dann mit eigener künstlerischer Leitung. Sonst besteht die Gefahr, bald fünftes Rad am Wagen zu sein.“ Das Theater Oldenburg, so Taube, habe auch ein integratives Modell. Dort mache der Intendant es aber zur Bedingung, dass sich jeder Mitarbeiter bereit erklärt, auch im Kinder- und Jugendtheater zu arbeiten. „Denn nicht jeder Schauspieler steht morgens gern schon um 10 Uhr auf der Bühne.“ Wellemeyer betonte, dass er ähnlich wie das Oldenburger Theater arbeite und wisse, dass Schauspieler oft die große Sehnsucht hätten, nicht nur für Kinder, sondern auch einen Tschechow zu spielen. So wie andersherum seine Schauspieler durchaus auch gern für Kinder agierten. „Es gibt keine zwei Kategorien Schauspieler.“
Der jetzige Leiter des Potsdamer Jungen Theaters, Andreas Steudtner, der samt seines siebenköpfigen Ensembles keine Vertragsverlängerung bekam, gab zu bedenken: „Wenn das Junge Theater seinen Ort verliert, verliert es seinen Kopf.“ Und eine Lehrerin von der Voltaire-Schule pflichtete ihm bei. „Ich verstehe nicht, warum man eine Arbeit, die inzwischen noch breiter geworden ist, einfach aufs Spiel setzt.“ Tobias Wellemeyer entgegegnete: „Wir wollen uns noch intensiver mit Ihnen treffen, aber dann mit allen Schauspielern. Schüler und Lehrer sollten wissen, dass sie mit uns rechnen können.“
Auch die Jugendklubarbeit wolle er intensivieren, „wenn wir auf die Impulse der Jugendlichen stoßen.“ Deshalb werde es auch einen zweiten Theaterpädagogen geben. „Ob ich aber einen speziellen Spielleiter, einen zweiten Herrn Steudtner einstelle, das weiß ich noch nicht. In Magdeburg haben uns die Bewerber immer nicht gereicht, wir waren sehr nörgelig.“ Es hätten oft bekannte Regisseure anderer großer Häuser für die jungen Leute in Magdeburg inszeniert. „Und die Qualität unserer Produktionen befriedigt uns sehr,“ stand ihm seine Chefdramaturgin Uta Scharfenberg selbstbewusst zur Seite. Sie sagte, dass es seit 2001 neun Uraufführungen, zehn deutschsprachige Erstaufführungen und eine deutsche Erstaufführung speziell für junge Zuschauer an ihrem Haus gegeben habe.
„Wir bieten unsere Erfahrungen und Visionen an. Wenn nötig, müssen wir sie ändern,“ sagte Tobias Wellemeyer und reagierte damit auf den Einwurf, dass Jugendliche in Potsdam anders ticken als in Magdeburg. Er möchte in jedem Fall die jungen Leute in beide Häuser mitnehmen. „Auch in das große müssen sie möglichst oft rein und nicht wie jetzt, vorher links abbiegen.“
Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer sagte am Ende der kontrovers geführten Diskussion anerkennend, dass es ungewöhnlich sei, dass sich der künftige Intendant schon zu so früher Zeit einer öffentlichen Debatte stelle.
Es wird nicht die letzte gewesen sein.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: