Kultur: Nicht nur eine Stimme
Etta Scollo interpretiert die Lieder der sizilianischen Volkssängerin Rosa Balistreri neu / Am Sonntag im Nikolaisaal
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„Rosa ist so sehr in Mode gekommen, dass sicher auch bald Popsängerinnen ihre Lieder im Programm haben werden“, sagt die Musikerin Etta Scollo über ihre sizilianische Landsmännin Rosa Balistreri in einem Gespräch. Am kommenden Sonntag wird die in Berlin und Palermo lebende Etta Scollo Lieder der Balistrieri im Nikolaisaal singen.
In Mode gekommen war die 1990 verstorbene Volkssängerin Balistreri schon einmal in den sechziger Jahren, als sie auf einem Volkslied-Festival im kalabrischen Salerno einen Preis erhielt und kurz darauf auch von Dario Fo zu seinem Mailänder Volkslied-Festival eingeladen wurde. In jenen Jahren besannen sich die Italiener wieder ihrer traditionellen Volksliedkultur und bejubelten deren (meist aus dem einfachen Volk stammenden) Interpreten. Doch dann ließ das italienische Interesse an der volksnahen Musikkultur langsam nach und Rosa Balistreri kam wieder aus der Mode. Rosa sang weiterhin ihre Lieder, die auf Kassetten jenseits des großen Musikgeschäftes kursierten. Solch eine Kassette bekam die in Catania aufgewachsene Sängerin Etta Scollo als Teenagerin geschenkt, an einem Tag, als sie mit Fieber im Bett lag. Rosas Gesang entfachte sofort noch ein anderes Fieber in ihr: „Diese Stimme war nicht nur eine Stimme, sondern es war eine ganze Geschichte darin. Jedes Mal, wenn ich sie singen hörte, konnte ich bestimmte Dinge über Sizilien, über die sizilianischen Frauen besser verstehen. Ich war beeindruckt von der Essentialität des Gesanges, der direkt ans Leben in seiner ganzen Unbedingtheit gebunden schien.“
Bei der einzigen Gelegenheit, Rosa im Konzert zu hören, war Etta Scollo wieder mit Fieber im Bett. Die Stimme der Balistreri, die sie nie live erleben konnte, ging ihr nicht mehr aus dem Sinn, auch wenn sie zu Beginn ihrer Musikerlaufbahn (Anfang der 80er Jahre in Wien) erst einmal Exkurse in die Jazz-, Blues- und Pop-Musik unternahm und die Kassette jenes Fiebertages in die Schublade legte.
Dann kam der richtige Zeitpunkt, um diese Schublade zu öffnen. Das war Ende der neunziger Jahre – die Sizilianerin lebte inzwischen in Hamburg, wo sie die Musiker traf, mit denen sie auch heute noch zusammen auf die Bühne und ins Tonstudio geht. In der rauen Stadt im Norden wurde Etta Scollo vom alten Fieber erfasst. Sie begann erneut, sich mit Rosas Gesang zu beschäftigen und sich in die sizilianische Seele zu vertiefen. Das führte sie zwangsläufig zu ihren eigenen kulturellen Wurzeln: „Ich habe mich noch mal mit der sizilianischen Sprache beschäftigt, wieder die alten Bücher gelesen und mich mit meiner eigenen Kultur auseinandergesetzt. Das war ein langer Prozess, bei dem ich all diese Dinge verdaut habe.“ Am Ende des Prozesses stand für die Sängerin fest, eine musikalische Hommage an Rosa Balistreri auf die Bühne zu bringen. Doch dieses Vorhaben stieß bei den Italienern anfangs auf Unverständnis. Rosas Stimme war in Vergessenheit geraten und vielen leuchtete es nicht ein, warum sie ausgerechnet an dieser Volkssängerin, die Analphabetin war, im Alter von 15 Jahren ihr erstes Paar Schuhe bekam und ihr Geld als Putzfrau verdiente, einen Narren gefressen hatte.
Aber es ist nicht nur die prägnante Stimme, sondern auch die Persönlichkeit der Balistreri, die die Musikerin fasziniert: „Obwohl sie aus ärmlichen Verhältnissen stammte und keine Aussicht auf ein besseres Leben hatte, hat Rosa den Mut gehabt, ihr Leben zu verändern und in tragischen Situationen nicht einfach zu resignieren.“ Auch Etta Scollo war weit davon entfernt zu resignieren, und ihre Ideen nahmen nach und nach konkrete Gestalt an.
Im Sommer 2004 war es endlich soweit. Die Uraufführung der Balisteri-Hommage „Canta Ro“!“ (Sing, Rosa!) fand in Palermo statt. Etta Scollo hatte „große Angst, als Sizilianerin, die in Deutschland lebt, nach Sizilien zu gehen und eine Hommage an Rosa Balistreri zu machen“ und fühlte sich „wie jemand, der freiwillig in den Käfig der Löwen geht. Es war für mich nicht leicht, aber ich musste das tun, für meine Identität, für meine Liebe zur sizilianischen Kultur.“ Das Konzert war ein großartiger Erfolg, und die Lieder der Balistreri waren plötzlich wieder zum Leben erweckt worden, allerdings in ganz anderer, in sinfonischer Manier. „Ich bin nicht die Nachfolgerin von Rosa Balistreri. Die Verfremdung durch das Orchester war eine Möglichkeit, einer reinen Imitation zu entgehen und der Musik, aber auch der Person Rosas Respekt zu zollen.“ Die zierliche, energiegeladene Sizilianerin singt die Lieder nicht, sie lebt sie, durchlebt sie geradezu, mal mit dunkel-melancholischem Klagegesang zur Maultrommel (die häufig in der sizilianischen Volksmusik verwendet wird), dann wieder mit kokett hüpfenden Tönen zur Flöte und Tuba, immer voller Leidenschaft und Hingabe. Sie beseelt die traditionellen und die teilweise autobiographischen Lieder der Balistreri, die von Liebe, Armut und Not handeln, auf ihre ganz eigene, sehr authentisch wirkende Art. Die glänzend instrumentierte Orchesterbegleitung, die ohne breiige Streicherklänge und weichgespülte Passagen auskommt, bettet ihre vielseitige Stimme in einen maßgeschneiderten, nuancenreich gewebten Kontext.
Einen größeren Respekt als mit dieser musikalischen Hommage kann Etta Scollo ihrer Landsmännin kaum zollen. Schließlich hatte sich die Volkssängerin, die jetzt erneut (und dieses Mal sogar auch außerhalb Italiens) in Mode gekommen ist, in ihrem musikalischen Testament gewünscht: „Wenn ich sterbe, singt meine Lieder. Ihr sollt sie nicht vergessen und sie für alle weiter singen!“
Etta Scollo ist am 24.2., 16 Uhr, im Nikolaisaal zu hören. Dabei sind u.a. die Brandenburger Symphoniker unter der Leitung von Michael Helmrath.
Imken Griebsch
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