Kultur: Nichts als die Wahrheit
Anna Enquist zu Gast im Peter-Huchel-Haus Wilhelmshorst mit ihrem Roman „Letzte Reise“
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Elisabeth wusste, was Ihr Mann dringend brauchte, wenn er von der Schiffsreise im Auftrag des englischen Königs nach Hause kam. Es war ein großer Tisch, der inmitten des Zimmers stehen musste, freigeräumt von allem Kinderspielzeug und frisch entstaubt und gewachst. Diesen Tisch bereitete sie für ihn vor. Darauf konnte James seine Karten, Journale und Reiseskizzen ausbreiten. Noch eins, frische Luft sollte rein. War James Cook noch ihr Mann oder stand sein Ruhm als Entdecker von Australien und Neu Seeland bereits zwischen ihnen? Kann er mit den eigenen Kinder umgehen oder hat er jegliches Interesse am familiären Leben verloren? Sie dachte an die exotischen Pflanzen und Samen, die James von seinen fernen Reisen mitbrachte und in ihrem Garten eingrub. Er wollte sehen, ob man diese oder jene Pflanze auch im diesem regnerischen Land hochziehen könne. Seinen Tatendrang und seinen Fleiß bewunderte sie, seine Abwesenheit hasste sie.
Es sind eindringliche Bilder, die die Autorin Anna Enquist in ihrem Roman „Letzte Reise“ findet, um das Leben von Elizabeth Batts zu beschreiben. Sechs Kinder hat die hagere Frau dem Seemann geschenkt, zwei davon hat die Mutter besonders geliebt, die einzige Tochter Elly (mit knapp zwei Jahren verunglückt) und den Sohn Nathaniel, den ihr die See genommen hat.
Doch es ist nicht die Mutterrolle allein, die die Niederländerin an dieser Figur interessiert. Elisabeth, und dies ist für das 18. Jahrhundert ungewöhnlich, ist ihrem Mann ebenbürtig. Sie hat Einblick in seinen Reisebeschreibungen, ist sachkundig in allem, was mit Seefahrt und Marine zu tun hat. Aus Briefen, Logbüchern und Anweisungen der Admiralität sowie verschiedenen Cookbiographien hat Enquist eine Menge über den berühmten Mann erfahren können. Die schlechte Quellenlage betraf Elizabeth, über sie wurde lediglich bekannt, daß sie gut mit Finanzen umgehen konnte und einen forschen Umgangston pflegte. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen entstand ein historischer Roman, der die Epoche der Weltendeckungen umfassend beleuchtet und gleichzeitig ein neues Frauenbild propagiert. Es ist faszinierend, sich in die Welt von Elizabeth Cook zu begeben. Widersprüche begleiteten ihr ganzes Leben, sie liebte die Wahrheit und konnte dennoch nicht die Vermutung ertragen, ihr Mann sei 1779 ein Menschenopfer kultischer Handlungen geworden. Haben sie ihn einfach verspeist, seine Knochen über die ganze Insel verteilt? Diese Fragen konnte und wollte ihr kein Beamter der englischen Marine beantworten.
Anna Enquist , die in Holland mehrere Romane und Erzählungen veröffentlichte, gelingt es, einen Spannungsbogen zwischen zwei ungleichen Persönlichkeiten zu ziehen. Facettenreich schildert die ausgebildete Konzertpianistin und Psychoanalytikerin das Leben im London des 18.Jahrunderts. Die Sinfonien von Joseph Haydn begleiten den Leser ebenso wie die das Geigenspiel des Sohnes Nathaniel nach Arcangelo Corelli.
Katarzyna Kaminska
Heute um 20 Uhr im Peter-Huchel-Haus Wilhelmshorst, Hubertusweg 41. Die Potsdamer Schauspielerin Marie-Luise Lukas liest den deutschen Text.
Katarzyna Kaminska
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