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Kultur: Nische gefunden Saisonauftakt für die

18. Potsdamer Hofkonzerte

Stand:

„Wer sich die Fähigkeit bewahrt hat, Schönes erleben zu können, wird nicht alt“, sagt Kafka. In diesem schönen Bewusstsein erlebten wir Jungbleibenden den Start in die diesjährige „Potsdamer Hofkonzerte“-Saison im Schlosstheater im Neuen Palais. Sie wird sich den monarchischen Beziehungen zwischen Russland und Preußen im 19. Jahrhundert widmen. Erneut also thematische Offerten, durch die sich die verschiedenen Künste einander begegnen können. Konzeptionelle Überlegungen und sehenswerte Taten, mit denen die Konzertveranstalterin Barbara V. Heidenreich ihre „Nische“ in der reichen Potsdamer Kulturlandschaft gesucht und gefunden hat. Das Publikum und die kulturministerielle Schirmherrin Johanna Wanka sind darüber seit Jahren sehr erfreut.

Zur Einstimmung auf die abendliche Lesung aus Tschaikowskis Briefen an seine Gönnerin Nadeshda von Meck gab es am Nachmittag zur Einstimmung einen Spaziergang durch die russische Kolonie Alexandrowka, die 1826 Preußenmonarch Friedrich Wilhelm III. als bleibendes Denkmal für den verstorbenen Zaren Alexander I. errichten ließ. In 12 Gehöftanlagen (vom Bett bis zur Kuh komplett eingerichtet) fanden 12 russische Sänger ihr künftiges Zuhause. Sie waren vorzeigbar und konnten sich hören lassen. Nicht in orthodoxen Gottesdiensten in der unweit errichteten Newski-Kapelle, aber bei anderweitigen staatstragenden Aktionen. Nicht nur davon erzählte die Schlösser- und Parkführerin Dagmar Götze den Wissbegierigen. Wie sich“s heute in so einem museal eingerichteten Haus (Nr. 12) lebt, konnte man beim Musiklehrerehepaar Andres hautnah erleben. Auch sie zeigten sich auskunftsfreudig. An einer Kaffeetafel im naturnahen Bauerngarten zerging ein Stück Zarentorte „Charlotte“ auf der Zunge. Dazu klimpert ein Windspiel sanfte Akkorde. Zum Abschied singen und spielen die Andres-Mädchen, von der Mutter auf einem Bechstein-Flügel von 1890 assistiert.

Einen modernen Steinway bevorzugt dagegen die Pianistin Hideyo Harada zur Wiedergabe von Auszügen aus dem Zyklus „Die Jahreszeiten“ von Tschaikowski, mit denen sie die Lesung von Teilen aus dem Briefwechsel emotional auflockert, unterstützt, kontrapunktiert Für die größtenteils lyrischen Ergüsse aus der Komponistenseele bevorzugt sie einen sehr klaren, vergleichsweise trockenen Anschlag mit vielen Pedalbedämpfungsattacken. Dadurch ist den Piecen viel von romantisch Verschwimmendem genommen. Der einleitende „Karneval“ profitiert genauso davon wie das sentimentale „Herbstlied“, die verträumte, sehnsuchtsvoll sich wiegende „Barkarole“ oder die zartgetönten „Weißen Nächte“ von St. Petersburg.

In den klug ausgewählten Briefstellen nehmen die Betrachtungen über Religiosität, Tonsetzer („Lieben sie Mozart?“), Probleme beim Komponieren oder das russische Element in des Meisters Musik neben vielen persönlichen Artigkeiten bis hin zur emphatischen Meckschen Liebeserklärung an den schwulen Komponisten, einen breiten Raum ein. Sie zieht sich plötzlich von ihm zurück. Die Wunde sitzt tief und bleibt ungeheilt. Esther Schweins und Hanns Zischler lesen mit modulationsreicher und anteilnehmender Stimme, mischen stets ein Quäntchen distanzierter Haltung hinzu. Sie hören einander zu, reagieren körperlich auf die Worte des Partners, ziehen die Zuhörenden in den Bann der rhetorisch vielgestaltig ausgebreiteten Gedankengänge. Ein sehr beifällig aufgenommener Saisonauftakt.Peter Buske

Peter Buske

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