Kultur: Nostalgiker mit Biss
Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra erinnern im Nikolaisaal an die Juden im Jazz
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Andrej Hermlin ist ein Vollblutmusiker und ein politisch agierender Mensch dazu. Dass er beide Seiten auf der Bühne vereint, ist neu für ihn. Am 27. Dezember um 20 Uhr feiert er mit seinem Swing Dance Orchestra im Nikolaisaal die deutschlandweite Premiere von „Bei mir bist du schoen – die Juden im Jazz“. Berühmte jüdische Musiker aus den USA, Deutschland und der Sowjetunion kommen in Originalarrangements der 30er und 40er Jahren in diesem Konzert zu Ehren. George Gershwin, Sohn jüdischer Einwanderer, Benny Goodman und auch Irving Berlin und Jerome Kern lassen posthum mit ihren Hits aus Amerika grüßen. Obwohl in Deutschland mit Machtantritt der Nazis die jüdische Tradition mundtot gemacht werden sollte, wird der Abend zeigen, dass es auch „fernab aller Ufa-Seligkeit von Goebbels Gnaden“ eine andere deutsche Unterhaltungsmusik in den Jahren der Hitler-Diktatur gab: die des Orchesters James Kok und des Swingorchesters des Jüdischen Kulturbundes, die nach 1933 noch einige Zeit weiter existierten.
Wahre Raritäten entdeckte der bekennende Nostalgiker auf alten sowjetischen Schallplatten mit den beiden damals führenden Orchesterchefs des Landes, Alexander Tsfasman und Leonid Utjossow. Ihre Lieder werden in russischer Sprache gesungen, während Henry de Winter zwei deutsche Titel zum Besten gibt. „Fast ein halbes Jahr haben wir an dem Programm gearbeitet, nicht vorhandene Noten nach Gehör aufgeschrieben. Eine Sysiphusarbeit: Aber alles soll so authentisch klingen wie damals und auch so aussehen“, wozu die Maßkleidung der 30 Musiker beiträgt. „Das ist wie bei einem guten Essen, fehlt eine Zutat, schmeckt das Ganze nicht.“
Dem Bandchef geht es in dem Programm um zweierlei: „Ich möchte zeigen, wie wichtig Juden in der Entwicklung des Jazz waren und dass sie aus der Musik nicht wegzudenken sind. Andererseits wollen wir ein Zeichen setzen, zeigen, wo wir stehen: Gerade angesichts des scheinbar wieder salonfähig gewordenen neuen Antisemitismus, der inzwischen auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt.“
Andrej Hermlin, Sohn des 1979 verstorbenen Dichters Stephan Hermlin, bewegt sich derzeit aber auch in anderen politischen Gefilden: Er saß während des PNN-Gesprächs schon auf Koffern, um mit seiner Familie nach Kenia zu reisen. Dort wird Ende des Monats gewählt und es besteht die Chance, dass die seit 40 Jahren regierenden korrupten Machthaber aus dem Amt gehoben werden. „Meine Frau und ich unterstützen den Kandidaten der Opposition, Raila Odinga, den Nelson Mandela Kenias.“ Das ostafrikanische Land ist inzwischen zur zweiten Heimat des Berliners geworden, nachdem er vor fünf Jahren eine Kenianerin heiratete. „Kennengelernt habe ich sie nach einem Konzert in Berlin. Sie war zu Besuch bei ihrer Schwester und fragte mich nach unserem Auftritt einfach: ,Can I give you my phone number?“ Und drei Tage später war alles klar.“ Vor zwei Jahren wiederholten die Hermlins in Kenia ihre Hochzeit, inzwischen mit Sohn und Tochter. Alle 1000 Einwohner des Heimatdorfes von Hermlins Frau waren eingeladen und es wurde am Fuße des sich 5200 Meter imposant in die Höhe ragenden Mont Kenia ein sehr lustiges, farbenfreudiges Fest gefeiert. „Seitdem bin auch ich vielmehr in der Gemeinschaft drin.“ Farbenfroh ist inzwischen auch das Antlitz des Marktplatzes. Die schwarz verwitterten Holzhütten sehen aus wie in Dänemark und auch die Steinhäuser strahlen in Hellblau, Rot, Creme und Weiß. So wie die Einwohner es gern wollten. Und der Musiker tut alles, um weiter sein auf den Konzerten eingespieltes Geld dort auszugeben. Für die Renovierung der Schule, für einen Fußballplatz, für Straßenlaternen. „Unser Dorf ist das erste beleuchtete in ganz Kenia“, sagt er stolz. Und die gesetzten Strommasten machen es den Familien zudem leichter, Strom auf die eigenen Grundstücke zu legen. „Hilfe zur Selbsthilfe“, wie Hermlin immer wieder betont. Denn natürlich wissen die Menschen vor Ort am besten, was sie brauchen und was sie können. „Es gibt viel Lethargie. Aus die kann man die Leute nur herausreißen, wenn man auf Augenhöhe mit ihnen agiert.“ Und große Impulse erhofft sich der Künstler durch einen Wahlsieg Odingas, „der übrigens Ende der 60er Jahre in Magdeburg Maschinenbau studierte.“
Die jetzige Regierung habe sich Milliarden von Dollar in die eigene Tasche gesteckt und das Land heruntergewirtschaftet, „es gibt kein Sozial- und kein Rentensystem. Aber die alte Elite klammert sich an die Macht, versucht mit Massakern die Leute einzuschüchtern. Hassflugblätter stiften Unruhe, Wahlzettel werden gefälscht.“ Hermlin fuhr mit einem Fotografen nach Kenia und sorgte für ein kostenloses Fotoshooting für die Kandidaten der sozialdemokratisch orientierten Partei. „Sie brauchen nicht unseren Rat, meine Rolle ist da sehr bescheiden.“ Dennoch will er sein Möglichstes tun. „Gerade Kenia ist für die weitere Entwicklung in ganz Afrika wichtig.“
In dieser so entscheidenden Woche vor der Wahl muss also das Swing Dance Orchestra ohne seinen Chef proben. „Am 29. Dezember wissen wir, ob sich die Demokratie durchgesetzt hat.“ Zwei Abende zuvor kommen andere zu Wort, die man auch so gern mundtot gemacht hätte und die doch die Zeiten überlebten: die jüdischen Musiker.
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