Kultur: Notfalls experimentell – eine Bildbeschreibung „Pictures at an Exhibition“ in Potsdams Privattheater
Von Gerold Paul Die musikalisch-szenische Collage „Pictures at an Exhibition“ in Potsdams einzigem Privattheater Comédie Soleil ist eine höchst merkwürdige Sache. Michael Klemm wollte seinem New Yorker Freund Christoph Silberstein offenbar eine Referenz erweisen, als er ihm die Bühne überließ, Modest Mussorgskys berühmtesten Werk szenische Gestalt zu geben.
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Von Gerold Paul Die musikalisch-szenische Collage „Pictures at an Exhibition“ in Potsdams einzigem Privattheater Comédie Soleil ist eine höchst merkwürdige Sache. Michael Klemm wollte seinem New Yorker Freund Christoph Silberstein offenbar eine Referenz erweisen, als er ihm die Bühne überließ, Modest Mussorgskys berühmtesten Werk szenische Gestalt zu geben. Der Russe hatte einen zehnteiligen Klavier-Zyklus auf Bilder seines verstorbenen Herzensbruder Victor Hartmann komponiert, doch was der Konzertbesucher unter dem Namen „Bilder einer Ausstellung“ kennt, ist die orchestrierte Fassung aus der Feder von Maurice Ravel. Auch in der Feuerbachstraße, wo die zählbaren Premierengäste auf breiter Bühne einen gotisch anmutenden Kirchenraum vorfanden, linkerhand das stilisierte Spitzbogen-Fenster mit fünf brennenden Kerzen, daneben eine dimensionierte Orgel. Nach rechts verflüchtigt sich Peer Teichmanns Bühne gen Wendeltreppe mit vielleicht gewollter Unschärfe. Angekündigt war eine „Performance“ als Experiment, doch eine solche ist ja auch nur eine Aufführung, mithin Theater, und eben das am Samstag war eine höchst merkwürdige Sache. Vier Personen kennt die Szene: Dem Organisten Christian Hiemer mit großen Gesten, der wie ein Pianist spielte (Fußarbeit vergessen) gesellt sich per Fahrrad Erwin Völger hinzu, ganz in weiß, wer weiß, was sein rosaroter Laborkolben in der Hand bedeuten sollte. Silberstein hat ihn mit einer manualen Klo-Pumpe bewaffnet. Drittens eine kurzbehoste Dame in Rot, Nadja Winter, ihr Instrument ist eine Art Staubwedel. Sebastian Döring ist nun der Letzte nicht im „Experimentum Silberstein“: Ledermantel, dunkle Designerbrille, führt er eine E-Gitarre, deren Steg eine Lampe ziert, im Wortsinn zur Erleuchtung. Unter den sehr intensiv wirkenden Teilen der Komposition, welche durch kurze Interludien („Promenaden“) verbunden sind, betreten die Drei den heiligen Raum, indes der Organist natürlich schon da ist. Sie suchen emsig herum, doch erkennt man das Objekt ihrer Begierde mitnichten. Nur ein Haufen Hausrat sammelt sich an, darunter eine Königskuchenform (wie kam sie bloß in diese Kirche?) – nicht schlimm, doch warum hat das Trio szenisch nichts miteinander zu tun? Man läuft an seinem Nächsten vorbei, als könnte man sich nicht sehen. Auch das ließe sich notfalls experimentell nennen, oder waren diese „Bilder“ einfach nur schlecht inszeniert? Dazu hört man eine Stereo-Stimme aus dem Off anfangs über die Geheimnisse der Kunst sinnieren, später dann über die Verheerungen des Materialismus an den Seelen der Menschen. Man legt nun die „Bewaffnung“ ab, Radler Völger findet hinter der Orgel vier Teile eines zusammengehörenden Bildes, welches zuerst auch auf dem Haufen landet, dann aber von der Dame an die Wand gehängt wird. Es zeigt einen knieenden Mann mit nach vorn ausgestreckten Armen. Nachdem auch das getan ist, leuchtet die Wendeltreppe in himmlischem Licht, die drei aber wandeln hinauf. Auch dem Orgelmann geschieht, bei Mussorgskys kraftstrotzendem Finale, ein derartiges Wunder. Er wirft die Notenblätter kunstvoll zu Boden, löscht die Kerzen, dann erstrahlt auch er kraft einer umgehängten Lichterkette in schönstem Licht, ja, er „brennt“ beinahe! Die Erleuchtung also gelang auf der Bühne nach fünfzig Minuten, wozu die Lampe am Gitarrensteg beigetragen haben wird. Ihr Schein traf auch die Zuschauer, doch da blieb alles dunkel. Merkwürdig, woran das wohl gelegen haben mag? Nächste Aufführungen am 23. und 31. Dezember, jeweils um 20 Uhr.
Gerold Paul
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