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Wenn die Glocke klingelt. Die Schulglocke auf dem Hof der Schule Friedrich-Kirchplatz (Weberplatz). Hier befindet sich heute der Spielplatz des Kindergartens „Weberspatzen“.

© AE

Kultur: Nudeltopp Nowawes

Mit „Der Wal auf dem Luisenplatz“ veröffentlicht das Antiquariat Eifler seine erste Publikation

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Es sind vor allem die Bilder, in die man sofort versinkt. Unveröffentlichte Fotografien, die Nowawes und den Babelsberger Park am Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen. Da sieht man vornehm gekleidete Damen in langen dunklen Röcken und hochgeschlossenen weißen Blusen mit ausladenden Hutkreationen vor dem Flatowturm posieren. Ein Junge in Strickpullover und Stiefeln zieht auf dem kahlen Hof seiner Schule am Friedrich-Kirchplatz, dem heutigen Weberplatz, die Schulglocke. Der Reif an den kahlen Bäumen taucht diesen Moment in eine entrückte Stimmung. Auch die heute stark sanierungsbedürftige Generalsbank im Babelsberger Park ist abgebildet: in ihrer einstigen Pracht mit Porträtbüsten und von Efeu bekränzt.

Die Broschüre „Der Wal auf dem Luisenplatz“ als erste Publikation des Verlages Antiquariat Jörg-Peter Eifler, der in der Potsdamer Benkertstraße 1 seinen Sitz hat, wartet mit 30 ganzseitigen Abbildungen auf: durchweg bearbeitete Abzüge von Bildpositiven, die auf Glasplatten festgehalten wurden. Auf einigen Fotoplatten befinden sich Beschriftungen, die den Ort des Motivs angeben. Über die Fotografen haben die Herausgeber Anne Christl und Jörg-Peter Eifler indes keinerlei Hinweise gefunden.

Die fotografischen Raritäten sind eingebettet in Originalbeiträgen aus der Zeit von 1841 bis 1937, darunter der „Nudeltopper Generalanzeiger“ von 1919. Dieser Anzeiger wurde von Schülern des Realgymnasiums an der Yorckstraße/Ecke Althoffstraße als ihre Abschlusszeitung geschrieben. Der „Nudeltopp“ als volkstümliche Ortsbezeichnung für Nowawes fand damit seine erste schriftliche Erwähnung. In diesem Skandalanzeiger wird daran erinnert, wie 1899 auf den Neuendorfer Wiesen eine Fabrik zum Bau von Lokomotiven errichtet wurde, die für einträglichere Arbeit und damit für ein Ende der Heimarbeit an den Webstühlen unter den Dächern von Nowawes sorgte. Die Nowaweser Frauen gingen jetzt zur Mittagsstunde zum Lokomotivwerk und reichten ihren Männern einen Nudeltopp über den Zaun.

„Sagen und Märchen aus Potsdams Vorzeit“, 1841 aufgeschrieben von Karl v. Reinhard, entführen schließlich in eine Welt, als die Landschaft vom Heiligen See bis zum Lustgarten, von Glienicke bis Werder noch unzugängliches Bruch war: von dichten Eichenwäldern überzogen und tief im Sumpf steckend. Es war die Hohezeit der Wölfe und Bären. Aber auch damals gab es schon Liebesschwüre und Herzeleid, wie bei dem jungen Helden Chocus, der in Liebe zu einem schönen Mädchen aus dem Volk entbrannt war. Doch während dieser Fürst von seinem Feinde in den Kerker geworfen wurde, starb das alleingelassene Mädchen im tiefen Schnee an einer Hütte unter den Eichen. Genau an dieser Stelle baute der zu spät Entkommene eine Burg und nannte sie Pozdupini: unter den Eichen. Der Grundstein Potsdams. „Oft erwähnen alte Chroniken den Volksstamm der Chocini, und erzählen gar mancherlei von der Anhänglichkeit und Liebe zu ihrem Fürsten“, ist in der Sage zu lesen.

Eingestimmt auf die Märchen und Sagen wird der Leser mit der titelgebenden Geschichte „Der Wal auf dem Luisenplatz“. Darin beschreibt der Ich-Erzähler einen Sommertag am Brandenburger Tor im Jahr 1965, als er in einem Zelt in das offene Maul eines toten Wales schaute, mit Fransen am Oberkiefer und einer unendlichen schwarzen Haut. Später wusste der Erzähler nicht mehr, ob dieses Walmaul nur ein Kindheitstraum oder Wirklichkeit gewesen sei. Erst als er 2008 eine Sammlung alter Postkarten kaufte, fiel sein Blick auf die Schaustellung eines Blauwales. Die Erinnerung hatte ihn also nicht getrügt. Wer allerdings dieser Ich-Erzähler ist, bleibt dem Leser verborgen. Der ungenannte Autor, mutmaßlich Jörg-Peter Eifler selbst, wollte aus dieser kleinen Geschichte des Selbstzweifels nun mit anderen Augen den Spuren des Lebens in dieser Stadt folgen. Entstanden ist ein unterhaltsamer literarischer Spaziergang zwischen Traum und Wirklichkeit und mit festen fotografischen Ankern.

„Der Wal auf dem Luisenplatz“, Verlag Antiquariat Jörg-Peter Eifler, 108 Seiten, 14 Euro

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