
© Daniel Porsdorf
Ein reines Frauenstück ist angekündigt – als wäre das etwas Besonderes in der fabrik, ein Ort, der sonst keine Schwierigkeiten hat, ausgefallene oder gar schräge Erwartungshaltungen an Performances und Performer zu bedienen – aber der Saal zur Premiere und Uraufführung von „Unruhe bewahren“ von Cie4 ist voll. Das Publikum hat die Unruhe gleich mitgebracht, was nicht nur an der Handvoll Kinder in den vorderen Reihen liegt – das Stück ist empfohlen ab sechs Jahre.
Cie4, der „Neue Circus“, will weg von der klassischen Manege mit Clown und Tier – hier steht der Mensch, Artist, Tänzer, Mime und Musiker, im Mittelpunkt. Vier junge Frauen in grauen Kapuzenpullis, die an Mönchskutten erinnern, stehen schließlich im Halbdunkel auf der Bühne, bewegen sich zu Technomusik, irgendwo im Publikum fällt leise das Wort „Pussy Riot“. Dann Vogelgezwitscher, sie ziehen die Shirts aus. Aber nein, es wird sich keine nackig machen.
Das 60-minütige Stück ist ein Crossover aus Tanz, Akrobatik und Clownerie, wobei es der geübte fabrik-Besucher nicht unversucht lassen kann, dem Ganzen einen Sinn einzuhauchen. Anfangs noch wortlose Aktionen zu bedeutungsschwangerer Musik lädt die Performance dazu durchaus ein: Wer steht wo, wie sortiert sich das Quartett, geht es hier um Beziehungen, um Liebe, Rücksicht oder gar Vorteilsnahme? Wer ist die Schwächere, wer die Stärkere – falls sich den Frauen überhaupt Charakterzüge zuordnen lassen.
Das Publikum auf den Rängen ist Big Brother, die Mädels auf der Bühne ähneln immer mehr Kindern auf einem Spielplatz, zwischen Schaukel und Kletterwand, und eigentlich hätte man nicht schlecht Lust, einfach da hinunter zu gehen und mitzumachen, mit den Netzen und Seilen zu spielen, zu tanzen, zu laufen, es sieht ja alles zu einfach aus, so leichtfüßig. Dabei sind Julia Christ, Anke von Engelshoven, Lena Ries und Romy Seibt ausgebildete Tanzakrobatinnen oder Artistinnen, die ihre ganz eigenen Fertigkeiten in das Stück eingebaut haben. Minutenlang turnt beispielsweise eine von ihnen notgedrungen am Seil, während die Kolleginnen das andere Ende festhalten und sich einfach weigern, sie herunterzulassen. Die Seile sind ohnehin das Spielzeug der Wahl; mal sind sie kurz, mal hängen sie lang von oben als Schaukel, mal zum Einwickeln oder zum Verstecken. Eine flexible Kletterwand aus Seilgeflecht wird zur Trennwand auf der Bühne, zum Spielzeug, zum Kleidungsstück.
Doch je weiter das Stück voranschreitet, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sich hier eine bedeutungsschwangere Handlung entdecken lässt – und desto alberner die Mädels. Es bilden sich Paare und es entsteht endlich eine menschliche Geräuschkulisse – Schnaufen, Kichern, Glucksen. Das ist lustig, manches hat Slapstick-Charakter, die Kinder im Publikum kichern und einem entfährt ein kleiner Pups, das passt zum Stück und ist wiederum lustig. Die Tänzerinnen necken sich, sie ärgern sich, sie vertragen sich. Es menschelt. War das mit dem „reinen Frauenstück“ ohne Testosterongebaren gemeint?
Die Zeit vergeht, auf den Rängen erwischt man sich dennoch beim heimlichen Blick auf die Uhr. Das Stück hat in der zweiten Hälfte ein paar Längen: Jetzt ist klar, dass nichts mehr kommt, nichts Dramatisches zumindest. Die Zeit vergeht auch auf der Bühne, sind es noch Kinder, die da spielen, oder schon senile Alte? Dann verändert sich die Musik, sie stapfen albern wie besoffene Models in einer Viererformation über die Bühne, und plötzlich setzten sie sich die Kapuzenshirts wieder auf. Ist ihnen die Freiheit nicht bekommen, sehnen sie sich nach einem Versteck?
Man ahnt das Rosamunde Pilcher-Ende lange, bevor es kommt, die harmonische Musik kündet von nie endender Mädchenfreundschaft, die Tänzerinnen hängen innig umschlungen in den Seilen und schaukeln sich in den imaginären Sonnenuntergang. Steffi Pyanoe
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