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Kultur: Nur die Veränderung des eigenen Herzens im Auge

Sigrid Grabner berichtete im Frauenzentrum über ihre Begegnungen mit Emmi Bonhoeffer

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Sigrid Grabner berichtete im Frauenzentrum über ihre Begegnungen mit Emmi Bonhoeffer „Traumbilder“ – so ist der Titel der Ausstellung, die derzeit im Frauenzentrum zu sehen ist. Fiktive und wirkliche Orte – ein Segelboot, ein Hochstand im Wald. Kindlich gemalte Aquarelle. Bilder des Frauenkreises Berlin-Mitte, bei denen die Naivität nicht als künstlerisches Mittel zu verstehen ist, sondern als Formsprache für unprofessionell Gutgemeintes, schauen auf eine konzentrierte Frauenrunde, die sich am februarkalten Mittwoch Abend zusammengefunden hat. Die Potsdamer Autorin Sigrid Grabner stellt ihr Buch „Emmi Bonhoeffer – Essay – Gespräch – Erinnerung“, das sie gemeinsam mit Henrik Röder beim Lukas-Verlag herausgegeben hat, vor. Die Begegnung mit Emmi Bonhoeffer, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, war eine Begegnung für’s Leben, sagt Sigrid Grabner. 1983 hielt Emmi Bonhoeffer in der Berliner Golgathagemeinde bei einem gesamtdeutschen Frauentreffen einen Vortrag über „Die Frauen des 20. Juli“. Sigrid Grabner gehörte zu den Zuhörenden. Knüpfte ein Freundschaftsband über Staats- und Ideologiegrenzen hinweg. Viele Male kam Emmi Bonhoeffer nach Potsdam und berichtete in privaten und kirchlichen Räumen aus ihrem Leben. Das Grabner nach Tonbandprotokollen nacherzählt: Die Familien Delbrück und Bonhoeffer waren Nachbarn in Berlin-Grunewald. Die vielen Kinder beider Familien waren eng miteinander befreundet. Wichtiger als die Schule waren für die Kinder die Gespräche mit den gelehrten Eltern: „Wir fraßen aus der lebendigen Hand." 1936 heiratete Emmi Delbrück den Juristen Klaus Bonhoeffer, den älteren Bruder Dietrich Bonhoeffers. Klaus Bonhoeffer hätte seinen jüngeren Bruder immer wieder zum politischen Denken und Handeln ermutigt. Emmi Bonhoeffer organisierte wie viele „Frauen des 20. Juli“ die konspirativen Treffen,war aber mit den Inhalten aus Sicherheitsgründen nicht vertraut. Als ihr Mann im Herbst 1944 verhaftet wurde, lebte sie mit den drei Kindern in Schleswig-Holstein, wo sie auch die Nachricht der Ermordung ihres Mannes, ihrer Schwäger und des Bruders erreichte. Mehrere Male konnte sie ihren Mann im Gefängnis besuchen. Ihre Hoffnung war groß. Aber er ahnte sein Schicksal. Sigrid Grabner erzählt, wie aus dem zerbrochenen Leben der jungen Frau wieder ein Leben wurde, dessen Sinn sich für sie nur langsam entzifferte. Zunächst organisierte sie eine ehrenamtliche Kleidersammlung für Hilfssendungen aus den USA. Später arbeitete sie für einen evangelischen Hilfsverein in Düsseldorf. Die Betreuung der Zeugen des Auschwitzprozesses, die aus ganz Europa anreisten, gab ihr die Möglichkeit, an Hand der Biografien, dem Phänomen des Faschismus in Deutschland, dem Täter- und Opferverhalten auf ihre persönliche Weise nachzugehen. Den Nationalsozialismus sah sie, geprägt durch Dietrich Bonhoeffers Schriften, auch als ein Phänomen des besonderen deutschen Obrigkeitsdenkens, das auch durch die Kirchen mitgetragen wurde. In Briefen mit ihrer jüdischen Freundin Recha in den USA reflektierte sie ihre Beobachtungen: „Die Zeugen sagten fast alle übereinstimmend, dass alle SS-Leute irgendwann einmal anständig waren, selbst die übelsten Schläger hatten ihre Schützlinge. Man kommt angesichts solcher Tatsachen auf allgemeine menschliche Fragen, auf Zusammenhänge, die uns alle betreffen. Ist es nicht, als ob der verbogenste, gänzlich verfremdete Mensch, nicht ganz ohne Liebe leben kann?“ Aus dieser Erfahrung, außerhalb der historischen, politischen und psychologischen Deutungen, findet Emmi Bonhoeffer ihre eigene Lebenshaltung, die allen missglückten und bestehenden Utopien für die ganze oder halbe Welt zum Trotz nur die Veränderung des eigenen Herzens im Auge hat. Ein unspektakulärer Blick, der kaum in Institutionen und Ideologien passt. Aber zu Taten befähigt. Trotz Resignation und Hoffnungslosigkeit. Und offensichtlich auch der Autorin eigen geworden ist. Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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