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Kultur: Ohne Angst vor Rauigkeit

Saisonauftakt im Havelschlösschen

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Auf barocke „Klangbilder aus Natur, Alltag und Religion“ setzte Geigen- und Gambenbaumeister Tilman Muthesius für den Saisonauftakt seiner thematisch stets reizvollen Kammerkonzerte im intimen Klein Glienicker Kammermusiksaal Havelschlösschen am Donnerstag. Eingeladen waren Barockviolinist Thomas Pietsch sowie Dagmar Lübking, zuständig für die stilsichere Begleitung per Cembalo und Orgel.

Am schier unüberschaubaren Fundus der Musik des 17. Jahrhunderts hatten sie sich bedient, speziell an der Unterabteilung für tonsetzerische Nachahmungen von Jagdszenen, Tierlauten, Operationen, Kriegen, Geräuschen mechanischer Gerätschaften. Was die Stunde geschlagen hat, brachte ein Anonymus aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als „Musicalisch Uhrwerk“ zu Notenpapier. Die vollen Stunden werden dabei mit dem gewichtigen Ton „a“ gestrichen, während die Viertelstunde in „e“ ertönt. Das alles klingt wie eine Westminster-Standuhr.

Dazwischen sorgen Sonatensätzlein, die an Harmlosigkeit kaum zu unterbieten sind, für Kurzweil. Schließlich klingelt sogar der Wecker, imaginiert durch rasantes Saitenstreichen. Für das pausenlose Drehen von Rädchen ist das flink tastatierte Cembalo zuständig. Nicht weniger unterhaltsam hört sich die Sonata eines weiteren Anonymus an, in der „Das Jägerhorn“ mit Jagdsignalen in geigerischer Verfremdung in Erscheinung tritt. Vom Begrüßungssignal über das Sammeln der Schützen und Treiber bis zur Meldung „Fuchs tot“ reicht die Spannbreite jagdlichen Rituals, das erneut von beschwingten Tanzsätzen durchdrungen ist.

Thomas Pietsch, der in Potsdam – in einem der Hofmarschallhäuser im Park Sanssouci – das Licht der Welt erblickte, führte mit dem trockenen Humor eines Hanseaten, der er inzwischen ist, durch das Programm. Zudem begeisterte er mit vibratolosem, klarem Ton voller Witz und Lebendigkeit sowie einem kräftigen, akzentuierten Bogenstrich, wobei ihm die Cembalistin in nichts nachstand.

Wenn es sanft und samtig, gar verinnerlicht klingen soll, ist zur Begleitung die Truhenorgel gefragt. Die kam in zwei Choralbearbeitungen von Johann Sebastian Bach – „Liebster Jesu, wir sind hier“ und „Herzlich tut mich verlangen“ –, stimmungsdicht arrangiert für Violine und Orgel, zum Einsatz. Oder im „Lacrime“ des hanseatischen Ratsmusikers Johann Schop, wo keine Tränen der Trauer, sondern der Freude und des Liebesempfindens reich beschrieben sind. Da wird im Überschwang der notengesetzten Gefühle der Geigenton ausdrucksintensiver, wobei Thomas Pietsch nicht vor einer gewissen Schärfe und Rauigkeit zurückschreckt.

Ein Verfahren, von dem auch die Lautimitationen der bauernhöfischen Tiere profitieren, von der Heinrich Ignaz Franz Bibel in seiner „Sonata representativa“ auf köstlichste Weise kündet. Zart und zerbrechlich huscht die Wachtel vorbei, miaut die Katze, quakt der Frosch, ruft der Kuckuck. Mit schier staunenswerter Technik und Ausdrucksintensität erklingt Bibers Sonata „Mariä Himmelfahrt“, die 14. der Biberschen Rosenkranz-Sonaten, die zwischen Prestoläufen, wiegenden, tänzerischen und kapriziösen Passagen das biblische Ereignis nachzuvollziehen trachtet. Als Zugabe gibt es eine Telemann-Piece, die durch die Verwendung eines Stegdämpfers aus Elfenbein eine ganz besondere Klangnote erhält. Peter Buske

Peter Buske

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