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Kultur: Ohne Eigeninitiative läuft nichts

Potsdamer Komponisten-Report: Bisherige Projektreihe wird 2005 fortgeführt

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Potsdamer Komponisten-Report: Bisherige Projektreihe wird 2005 fortgeführt Von Wolfgang Thiel Worüber sprechen fünf Potsdamer Komponisten, wenn sie sich – wie unlängst geschehen – bei einer Tasse Kaffee in der Städtischen Musikschule treffen? Sprachen sie über (gemeinsame) Erfolge wie beispielsweise die eindrucksvolle Friedensmeditation „da pacem“ mit dem Vocalkreis Potsdam am 11. September 2003 in der Friedenskirche? Oder über fehlende Aufführungsmöglichkeiten hierzulande und verpasste Gelegenheiten der Einbeziehung ihrer Musik anlässlich offizieller Einweihungen, Jubiläen et cetera? Beide Themen wurden zwar angesprochen. Aber trotz einschlägiger Erfahrungen im ergebnislosen Antichambrieren, von dem auch der unerwartet im vergangenen Jahr verstorbene Gerhard Rosenfeld zu berichten wusste, geriet das Fünfergespräch nicht zu einer Jeremiade auf vergangene Zeiten, in denen es geradezu eine kulturelle Pflicht des damaligen städtischen Orchesters war, in jeder Saison ein sinfonisches oder konzertantes Werk von in Potsdam ansässigen Komponisten aufzuführen. Natürlich kam auch die permanente Krise der modernen (Kunst-) Musik zur Sprache. Stichwortgeber war diesmal ein Jubilar. Jedoch nicht der am 13. März zur Vorführung des „König Midas“- Films nach Potsdam kommende fast 95-jährige Kurt Schwaen sondern der vor 80 Jahren in Berlin verstorbene Ferruccio Busoni. Manch älterer Musikfreund kennt ihn nur noch als Verfasser obsoleter Arrangements Bachscher Klavierwerke. Aber der als Pianist berühmt gewordene Deutsch-Italiener hinterließ neben einem mittlerweile stark verblassten kompositorischen uvre auch eine Fülle von Essays mit visionärem Einschlag. Anfang der 20er Jahre sprach Busoni ästhetische Fehlentwicklungen an („das Allgemeinwerden der Übertreibung“), die bis heute andauern, und unter dem Stichwort einer „Jungen Klassizität“ eine Hoffnung aus („die Meisterung, die Sichtung und Ausbeutung aller Errungenschaften vorausgegangener Experimente“), die sich bislang nicht erfüllt hat. Dass sich allerdings die Situation der Kunstmusik, zumal der neuen (egal ob groß oder klein geschrieben), seit dieser Zeit und vor allem im letzten Jahrzehnt in Deutschland gravierend verändert hat, befanden in dieser Runde trotz unterschiedlicher Jahrgänge, beruflicher Lebenslagen und musikalischer Schreibweisen in voller Einmütigkeit Gisbert Näther, Alex Nowitz, Bernhard Opitz, Wolfgang Thiel und Ludwig Walter. Der Einladung ebenfalls beigefügt worden war ein im vergangenen Jahr auf der Mitgliederversammlung der GEMA gehaltenes Statement des Münchner Komponisten Enjott Schneider zur gesellschaftlichen Lage der „Neuen Musik“. Seine wortgewandte Analyse berührt entscheidende neuralgische Punkte einer zunehmend gegen Null tendierenden sozialen Relevanz der zeitgenössischen so genannten E-Musik. Diese bedrückenden Situation ihrer öffentlichen Geringschätzung (im Verein mit dem rasant zunehmenden Verramschen der klassischen Musik in einschlägigen Radioprogrammen) ist in den vergangenen Dezennien von den avantgardistischen Akteuren (Komponisten, Kritikern, Musikologen) auf eine oft borniert elitäre Weise zumindest teilweise selbst verschuldet worden. Was können angesichts einer solchen weltweit verfahrenen Situation Näther, Nowitz, Opitz, Thiel oder Walter bei bestem Willen wirklich bewirken? An diesem Punkt eines notwendigen Wechsels vom Reden zum Tun stehen Diskussionen und Gespräche dieser Art stets in der Gefahr, sich im Kreise zu drehen oder in einem allgemeinen Lamento zu verflüchtigen. Was indes in dieser Tonsetzer-Runde an Nägeln mit Köpfen gemacht wurde, mag auf den ersten Blick und gemessen am Ernst der Lage irrelevant erscheinen. Aber der unbedingte Vorteil der besprochenen Projekte besteht in ihrer Machbarkeit. Immer wieder geriet im Diskurs der pädagogische Aspekt in den Blick. Die Musikschule als Ort kompositorischer Wirksamkeit. Musik für Kinder, für Schüler, für besondere Besetzungen. Ja, es gibt tatsächlich Schüler, die Neugier auf Neues jenseits von Pop und Techno haben. Natürlich muss eine solche neue Musik spielbar sein, gut klingen und somit nach Überwindung der technischen Schwierigkeiten beim Musizieren auch Freude machen. Wer sich als Komponist auf die Rahmenbedingungen einer Musik für die Schule einlassen kann, findet hier ein weites Betätigungsfeld. Die Blätter der „Kalendermusik“ im Veranstaltungsperiodikum der Städtischen Musikschule bieten (bereits in 11. Folge) bisher unveröffentlichte kleine Stücke als potenzielle Schülerliteratur. Aber darüber hinaus besteht immer wieder Bedarf nach neuen Kompositionen für den Wettbewerb „Jugend musiziert“, für Unterrichtszwecke (insbesondere für bisher kompositorisch eher stiefmütterlich bedachte Instrumente), für die Orchester und Chöre. Eine solche pädagogisch orientierte Musik deckt indes nicht das ganze Spektrum des künstlerischen Wollens ab; das Bedürfnis nach dem grenzüberschreitenden Experiment, nach der extremen Erprobung von Fantasie und Handwerk für professionelle Musiker. Seit dem Fontane-Jahr 1998 entstanden in Eigeninitiative und mit finanzieller Unterstützung des Kulturamtes gemeinsame kompositorische Vorhaben: Fontane-Reflexionen, Serenaden über Potsdams Gärten, Lieder über Arkadien, A-cappella- Werke für den Vocalkreis unter der Leitung von Matthias Jacob. Diese Projektreihe soll 2005 fortgeführt werden. Noch befindet sich alle Überlegungen im Status nascendi. Wahrscheinlich wird ein großer Kirchenraum und dessen interessante Akustik hierbei eine Rolle spielen. Nach fast zwei Stunden trennten sich die fünf Komponisten mit dem Versprechen, möglichst alle (Viertel-) Jahre wieder zu einem Gedankenaustausch und zum Pläneschmieden am gleichen Ort zusammen zu kommen.

Wolfgang Thiel

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