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Kultur: Ohne Larmoyanz

Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit in der Nikolaikirche mit dem Dresdner Kreuzchor

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Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit in der Nikolaikirche mit dem Dresdner Kreuzchor Nachdenkliche und frohgestimmte Töne erfüllen am Samstag das Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit. Nichts sei hier in Potsdam von der Larmoyanz zu spüren, die in den Medien – Deutschlands „Intensivstation“ – immer wieder den Menschen zugeschrieben werde, freut sich Luxemburgs Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker, der die Festrede hält. „Meinen Glückwunsch, dass sie feiern. Ich freue mich nachhaltig, dass Deutsche zu Deutschen fanden“, sagt er in der bis zum letzten Platz gefüllten Nikolaikirche und geht im sympathisch-anregenden Plauderton nicht nur auf die Wiedervereinigung vor 15 Jahren, sondern auch auf die europäische Einheit ein, die für ihn zwei Seiten einer Medaille sind. In seiner persönlich gefärbten Rede erinnert er sich, wie sein Vater als junger Mann von Hitler gezwungen wurde, in der verhassten deutschen Wehrmacht mit zu kämpfen. „Es gehört zu seinen großen Lebensleistungen, dass er mich dennoch deutschfreundlich erzog.“ Juncker schaut im großen Bogen bis in die Anfänge europäischen Denkens zurück, das schon Victor Hugo zu eigen gewesen sei. Europa sei wichtig, um den Lärm der Schlachten durch den Lärm von Demokraten zu ersetzen. Es stehe noch immer die Frage: Hegemonie oder Zusammenarbeit, Krieg oder Frieden. „Die alten Dämonen schlafen, aber es könnte schnell jemand kommen, der sie zu wecken versteht. Wir sollten nicht vergessen, dass noch vor zehn Jahren in den Straßen von Sarajevo geschossen wurde.“ Die von der EU anfangs mit großer Skepsis betrachtete deutsche Wiedervereinigung bezeichnet Juncker als eine große historische Leistung, denn zum ersten Mal haben Menschen Geschichte für Menschen gemacht und die Dinge selbst in die Hand genommen. Und das ohne Blutvergießen. Vor allem in Westdeutschland vergesse man oft, wie groß die Anstrengungen waren, die die Ostdeutschen unternehmen mussten, um sich zurecht zu finden, wie sie ihren Transformationsstress nach dem Mauerfall überwanden. Unvergessen sei für ihn, als er Ostern 1975 das erste Mal nach Berlin kam: „Das einzige Stück Freiheit, das in Bewegung war, waren die Kaninchen an der Mauer." Als am 9. November diese Mauer fiel, sei er gerade aus dem Koma erwacht, in das er nach einem Unfall gefallen sei. „Ich sagte zu meiner Frau: Das glaube ich nicht und schlief weiter. Dafür möchte ich mich heute entschuldigen“, sagt er mit einem gewinnendem Lächeln. Auch der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck geht in seinem Grußwort in die DDR-Zeit zurück. 1985 habe Helmut Schmidt anlässlich des 300. Jahrestages des Potsdamer Toleranzedikts in der Nikolaikirche gesprochen. „Die Kirche war genauso überfüllt wie heute, aber auf dem Vorplatz standen viele Personen, die heute glücklicherweise nicht mehr dort sind.“ Schmidt habe damals gesagt, es gebe nichts Normaleres, als wenn Deutsche zu Deutsche kommen. „Dafür bekam er lang anhaltenden Beifall. Es war nichts Normales,“ so Platzeck. „Hüte dich nur und bewahre deine Seele wohl, dass du nicht vergessest der Geschichte, die deine Augen gesehen haben...“ Diese Worte aus den Fest- und Gedenksprüchen von Johannes Brahms sang der Dresdner Kreuzchor und ließ mit seinen berührenden Stimmen das Festkonzert zu einem aufwühlenden Hohelied werden. Die klare und ernsthafte Arbeit am Gotteslied – wie St. Nikolai-Pfarrerin Susanne Weichenhan das Wirken der Kruzianer würdigt – gestaltet sich mit facettenreichem Klang. Der schnörkellose, dynamische Gesang legt sich wie ein wärmender Mantel um die Zuhörer. „Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment, dass wir unter ihnen ein ruhig und stilles Leben führen mögen, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit.“ Diese von Heinrich Schütz vor 400 Jahren vertonten Worte, die die Kruzianer unter Leitung von Roderich Kreile feinnervig und in schlichter Eindringlichkeit erklingen lassen, scheinen wie für diesen Tag der Deutschen Einheit geschrieben. Heidi Jäger

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