
© Peter Kneffel/dpa
Kultur: „Ohne Naivität geht es manchmal nicht“
Kulturaufbau braucht tatsächlich Zeit“ Michael Schindhelm hat sich als Kulturmanager in Dubai versucht und über sein Scheitern ein Buch geschrieben „Geduld, Geduld, Geduld. Und keine Überheblichkeit“
Stand:
Was hat Sie getrieben als erfolgreicher Theaterintendant und ehemaliger Generaldirektor der Opernstiftung in Berlin ausgerechnet als Kulturmanager nach Dubai zu gehen, Herr Schindhelm?
Nach fast 20 Jahren im Theater wollte ich etwas anderes machen. Ich hatte von Dubai kaum eine Ahnung, aber spürte irgendwie, dass die Stadt wirklich eine ganz neue Art von Herausforderung sein würde.
Und wie kommt man zu solch einem Engagement?
Mich hat ein Regierungsmitarbeiter aus Dubai angerufen, der gleichzeitig für die Strategieentwicklung eines Immobiliengroßprojekts zuständig war, das unter anderem den Bau eines Opernhauses vorsah.
In „Dubai Speed. Eine Erfahrung“, das Sie heute in Potsdam vorstellen, schreiben Sie über dieses Opernhaus. Ein Saal mit 3000 Plätzen war geplant. Eine sehr hohe Zahl. Was für eine Vorstellung über Oper herrscht dort überhaupt?
Die meisten Emiraties haben gar keine Vorstellung von Oper gehabt, sondern dieses Projekt – eines von etwa 15, an denen ich gearbeitet habe – vor allem für die westlichen Bewohner und Besucher von Dubai betrachtet. Ich habe deshalb gleich zu Beginn gesagt, wir sollten das nicht Opernhaus nennen und versuchen, auch arabische und indische darstellende Kunst dort zu zeigen. Übrigens hat die Metropolitan Opera in New York 3800 Plätze.
Sie wurden dort auch zu Pavarotti befragt. Ob das Geschrei von dem Dicken auch Oper sei. Sind das nicht die Momente, in denen man verzweifeln möchte, Sehnsucht nach dem traditionellen Europa bekommt?
Natürlich, Europa sieht aus dieser Perspektive schon sehr verlockend aus, eine fragile Wunderkammer.
Dubai wird auch als „auf Wüstensand gebautes Super-Disneyland“ bezeichnet. Was für eine Kultur, was für ein Kulturverständnis haben Sie in dieser künstlichen Stadt überhaupt vorgefunden, als Sie 2007 in die Wüste reisten?
Jede Stadt ist am Anfang künstlich. Stellen Sie sich das Holländerviertel in Potsdam vor 200 Jahren vor. Es gab aber in Dubai nicht einfach nur ein Kulturverständnis. Die herrschende Familie hatte wahrscheinlich begriffen, dass es notwendig ist, Kunst und Kultur zu fördern, wenn man eine nachhaltige Gesellschaft aufbauen will. Aber es gab auch die Immobilienhaie, in deren Hände ja die Grundstücke lagen, auf denen Kulturobjekte gebaut werden sollten. Diese Leute betrachteten Kultur als ein Marketinginstrument, um Geld zu machen.
Wie haben Sie unter diesen Umständen als Kulturmanager gearbeitet?
Das war nicht leicht. Ich habe den Versuch unternommen, zunächst einmal die Regierung zu überzeugen, man müsste eine öffentliche Behörde gründen, damit man die Macht der Immobilieninvestmentunternehmen beim Aufbau aushebeln kann.
Und das ist Ihnen gelungen?
Das Ergebnis war immerhin die Dubai Authority for Arts and Culture, für die heute alle wichtigen Kulturorganisationen arbeiten, vor allem Emiraties. Allerdings ist in der Welt eines emiratischen Hofstaates Entscheiden eine schwierige Sache. Oft war unklar, wie es weitergehen wird, und die Arbeitsbedingungen waren schwieriger als selbst nach der Wende in der DDR.
Wie haben Sie da überhaupt zwischen Ihren Erfahrungen und Vorschlägen und den Erwartungen der Geldgeber in Dubai vermitteln können?
Geduld, Geduld, Geduld. Und vor allem keine Überheblichkeit aufkommen lassen. Aber die arabische Gesellschaft ist noch ziemlich autoritär. Es war wichtig, sich nicht völlig in dieses System hineinziehen zu lassen.
Das Wüstenemirat Dubai ist vom Islam geprägt. Gab es nicht erhebliche Schwierigkeiten, wenn das westliche Kulturverständnis auf religiöse, islamische Befindlichkeiten stieß?
Nicht unbedingt in den Emiraten. Man ist dort – anders als bei den fanatischen Nachbarn – den Austausch mit den anderen gewöhnt. Trotzdem gibt es natürlich Grenzen. Aber das ist ja gerade das Interessante, Kultur sollte ja Grenzen aufzeigen, nicht verwischen. Dubai ist in dieser Hinsicht wirklich ein Testfall.
Und wie haben Sie diese Stadt sonst erlebt?
Dubai ist eine sehr junge Stadt. Vor 40 Jahren gab es dort 60 000 Menschen, heute mehr als eineinhalb Millionen. Und sie kommen buchstäblich aus aller Welt. Es gibt allein mindestens eine Viertelmillion Westeuropäer, die dort dauerhaft leben, die Mehrheit ist indisch, die Einheimischen stellen nur zehn Prozent der Bevölkerung. Der Boom hatte die Stadt in einen ungeheuren Geschwindigkeitsrausch versetzt, eben den Dubai Speed.
Die weltweite Finanzkrise hat dazu geführt, dass Sie 2009 das Handtuch warfen, weil das Geld fehlte. Gab es auch andere Gründe für Ihren Rückzug?
Ich habe dort zweieinhalb Jahre gearbeitet. Viel länger hätte ich das sowieso nicht vorgehabt, vielleicht ein, zwei Jahre mehr. Die Arbeitsbedingungen waren wirklich hart. Und das Leben ist nicht so einfach für jemanden, der nicht nur an klimatisierte Räume gewohnt ist. Vor allem aber haben mir irgendwann die Arbeitsbedingungen gestunken. Zu viel Chaos, für das ich die Verantwortung nicht übernehmen konnte.
Waren Sie zu naiv, als Sie glaubten, Kultur in Dubai aufbauen zu können?
Es gibt heute in Dubai eine der größten Kunstmessen außerhalb der westlichen Welt, Musik und Theater oder Ballett aus West und Ost, emiratische Filme, die die Realität dieser Stadt kritisch zeigen, und zunehmend auch eine ernst zu nehmende Literatur. In vielerlei Hinsicht ist Dubai eine fortschrittliche Stadt. Ich hätte in Dubai vor allem den Aufbau einer größeren Infrastruktur leisten sollen, wie sie jetzt in der Nachbarschaft Abu Dhabi entsteht. Das ist durch den Immoblilienboom und sein Ende zunichte gemacht worden. Ich glaube aber trotzdem, dass es in Dubai weiter gehen wird. Naivität mag sein, aber ohne geht es manchmal nicht.
Ihr Buch trägt den Titel „Dubai Speed“, eine Anspielung auf das Tempo im Wüstenemirat nach dem Motto „größer, höher, moderner, glamouröser“. Ist Dubai vielleicht zu schnell für die westliche Kultur?
Kulturaufbau braucht tatsächlich Zeit, in jeder Kultur. Das wird man in Dubai noch lernen müssen.
Sie nennen Dubai eine „pubertäre Stadt“ und trotz Ihres Scheiterns schauen Sie nicht verärgert auf ihre Zeit als Kulturmanager zurück?
Nein, ich habe dort gelernt, was Kultur und Globalisierung miteinander zu tun haben. Dass in anderen Teilen der Welt Entwicklungen stattfinden, wie bei uns vor zehn oder 200 Jahren. Die Welt ist nicht am Ende oder zu Ende entwickelt. Und Europa ist ein großartiges Arsenal, um am Aufbau dieser Entwicklung mitzuwirken. Allerdings sollten wir selbst erst verstehen lernen, wie anders Kulturaufbau unter den Bedingungen passiert als vor 200 Jahren bei uns. In Dubai ist heute die Welt zu Hause, Dubai ist Produkt der Welt. Das ist neu.
Dubai scheint heute aber vor allem ein Ort des Größenwahns zu sein, an dem Träume schneller platzen können als Seifenblasen.
Nein. Dubai ist dabei, durch die Krise eine geläuterte Gesellschaft zu werden. Krisen sind Reifeprüfungen. Das war auch in Deutschland oder Frankreich nicht anders.
Was ist eigentlich aus dem Grundstück geworden, auf dem ursprünglich das Dubai Opera House errichtet werden sollte?
Zurzeit ziehen da die Wüstendünen wieder ihre Kreise. Und in der Nachbarschaft stehen Flamingos wie eh und jeh am verlandeten Creek. Aber der Aufbau soll in den kommenden Jahren weitergehen. Ob eine Oper gebaut wird, ist ungewiss. Ich halte das aber nicht für die wichtigste Priorität. Die Emiraties müssen vor allem für ihre eigene Kultur mehr tun.
Würden Sie wieder zurückgehen, wenn jetzt noch einmal ein Anruf aus Dubai käme?
Nein, aber ich habe es nicht bereut, dagewesen zu sein.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Michael Schindhelm liest heute, 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47. Eintritt 7, ermäßigt 5 Euro. „Dubai Speed. Eine Erfahrung“ ist im Deutschen Taschenbuchverlag erschienen und kostet 16,90 Euro
Michael Schindhelm (49) ist Autor und Theaterintendant. Ab 1990 arbeitete er als Übersetzer, Autor und Dramaturg. Von 2005 bis 2007 war er Generaldirektor der Opernstiftung in Berlin.
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