Kultur: Ohne pathetischen Ballast
Die Kammerakademie Potsdam spielte alle neun Beethoven-Sinfonien im Nikolaisaal
Stand:
Standings Ovations nach der „Ode an die Freude“, Rosen von begeisterten Konzertbesucherinnen für jedes Mitglied der Kammerakademie Potsdam und ihren Dirigenten Antonello Manacorda: Auch das Finale des viertägigen Beethoven-Marathons mit allen neun Sinfonien löste im Nikolaisaal Bewunderung aus. Ein glückliches Ensemble, das elektrisierend wirkte und elektrisierte. Bis zum letzten Ton agierten die Musikerinnen und Musiker konzentriert, flexibel und höchst lustvoll. Dass sie physisch und geistig sehr beansprucht waren, ist ohne Frage. Dies gilt natürlich auch für Antonello Manacorda.
Der Zyklus aller Beethoven-Sinfonien übt auf Dirigenten aller Couleurs und Generationen eine magische Anziehungskraft aus. Und so hatte der Kammerakademie-Chef den Ehrgeiz, so viel wie möglich vom Notentext auf der klingenden Oberfläche auszubreiten. So entstand ein großer, reicher und überaus beweglicher Beethoven-Kosmos.
Absichtsvoll und programmatisch-pragmatisch platzierte sich Manacorda zwischen den Stühlen traditioneller Orchesterarbeit und historischer Authentizität und spielte klanglich das immer wieder erstaunliche Potenzial aus, das einem Orchester dieser Größe und Qualität zur Verfügung steht. Frisch und sehr transparent erklangen zum Finale am Sonntagabend die Sinfonien Nr. 8 und Nr. 9 mit der Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“.
Die Achte, 1814 zur Uraufführung gebracht, gehört zu den eher unbekannten aus dem Sinfonien-Kosmos von Beethoven. Er selbst schätzte sie höher ein als die Siebte. Humor und Ironie gehören zu den Leitlinien dieser F-Dur-Sinfonie, die sich vor allem im zweiten Satz ausleben können, in der man pointiert eine Hommage an den Metronom-Erfinder Johann Nepomuk Mälzel findet. Es machte den Musikern Spaß, hörbar zu machen, wie sich Beethoven weigerte, seine Musik einer mechanischen Ordnung zu unterwerfen, obwohl er das Metronom begrüßte. Für die wunderbaren Ecken und Kanten, die die anderen Sätze ebenfalls aufweisen, hielt Manacorda ebenfalls Kontraste bereit, doch ein paar Zwischentöne, vor allem im Finale, wären nicht schlecht gewesen. Es gibt bekanntlich mehr als nur hell und dunkel.
Zum Herzschlag der westlichen Musikkultur gehört ohne Frage die Sinfonie Nr. 9 d-Moll, die 1824 ihre erste Aufführung in Wien erlebte. Ihre Wiedergabe durch Antonello Manacorda und der Kammerakademie verweigerte sich jeglicher Schönfärberei zum Zwecke von festtäglicher Unterhaltung. Allem pathetischen Ballast, die die Sinfonie mit sich herumschleppen muss, verweigerte man sich. Manacorda ging es um ein intelligentes Spiel der Strukturen und Klänge. Man vernahm einen schlanken Ton, Durchhörbarkeit, heftige Akzente, doch immer auch eine differenzierte Balance des Orchesterklangs. Das Adagio wurde zum Höhepunkt der Interpretation, denn es wurde mit großer Innigkeit musiziert, sodass es zu einem seltenen Moment des Außergewöhnlichen geriet.
Die großartigen Gesangssolisten, Maria Bengtson (Sopran), Maria Gortsevskaya (Alt), Lothar Odinius (Tenor) und Raimund Nolte (Bariton) sowie der versierte Opernchor des Staatstheaters Cottbus und die Singakademie Cottbus gestalteten die finale Ode an die Freude, die als Appell an die Brüderlichkeit verstanden wird, ohne Drücker mit. Mit feiner und kraftvoller Stimmgebung rundeten sie die exzellente Aufführung ab. Klaus Büstrin
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