Kultur: Ohne Pathos, mit Transparenz Festkonzert in St. Nikolai
zur Deutschen Einheit
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Dem „lieben Gott“ hat der Oberösterreicher Anton Bruckner ausdrücklich seine 9. Sinfonie gewidmet. Doch es ist anzunehmen, dass der zutiefst gläubige Katholik in all seiner Musik die Größe Gottes pries, in seinen Sinfonien, in den Messen. Gleich nach dem lieben Gott rangierte aber Richard Wagner. Auch die Messe Nr. 1 in d-Moll ist nach der intensiven Beschäftigung mit Wagners Oper „Tannhäuser“ entstanden.
Nikolaikirchenkantor Björn O. Wiede hat für das diesjährige Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit, das traditionell in der St. Nikolaikirche am Alten Markt stattfindet, Bruckners erste Mess-Vertonung als Hauptwerk ausgewählt. Zuvor erklang die Sinfonia in D von Carl Philipp Emanuel Bach als Hommage des Kammercembalisten Friedrich des Großen, dessen 300. Geburtstag 2014 gedacht wird. Solide, jedoch apart interpretierten Wiede und die Neue Potsdamer Hofkapelle das empfindsam-fantasievolle Werk.
Anton Bruckners d-moll-Messe (1864) gilt besonders im Bezug auf die Harmonik, die Instrumentation und die Dynamik als epochal. Wiede vermied jegliche pathetische Wiedergabe. Stets durchhörbar und transparent wurde musiziert, die musikalische Struktur der Partitur zum Leuchten gebracht. Mit einer feinen dynamischen Palette wusste der Kantor die Mitwirkenden zu einer überzeugenden Darbietung zu animieren. Dabei gab es zwar breite, doch keine statischen oder schleppenden Tempi.
Wiede hat die rund 40 Sängerinnen und Sänger des Nikolaichores Potsdam bestens für ihre umfangreichen Aufgaben fit gemacht. Sie sangen homogen und fanden zum Mess-Inhalt eine innige Beziehung. Fehlte dem Chor manchmal die erforderliche durchschlagende Kraft, doch bewegend wusste er das Pianissimo, beispielsweise bei „Et sepultus est“ aus dem „Credo“ oder das „Dona nobis pacem“ im „Agnus Dei“, zu singen. Ein junges Solistenensemble mit Paula Rummel, Sopran, Teresa Smolnik, Alt, Jan Remmers, Tenor, und Bert Mario Temme, Bass, das seine Stimmen mit den Orchester- und Chorklängen elegant verschmolz, bildete in den kleiner besetzten Passagen der Messe den kammermusikalischen Kontrapunkt zu den großen Chorpassagen. Die Neue Potsdamer Hofkapelle wurde wiederum hinter den Sängerinnen und Sängern postiert. Dadurch konnte sich das Vokalensemble akustisch gut entfalten.
Der Verein „Musik an St. Nikolai“, der die Festkonzerte in Zusammenarbeit mit der Stadt Potsdam initiiert, lädt jeweils einen Redner ein, seine Gedanken zur Deutschen Einheit vorzutragen. In diesem Jahr kam Rabbiner Walter Homolka, Gründer und erster Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam. Er las vorwiegend aus seinem Tagebuch, das er 1989 während seines Aufenthalts an der Karl-Marx-Universität Leipzig schrieb. Als Fellow des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes bekam er seinerzeit Einblicke in den DDR-Alltag. Vor allem die öffentlichen Proteste gegen den damaligen Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 haben bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen. Klaus Büstrin
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