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Kultur: Ohne Rücksicht auf Verschleiß

Barbara Wiesener schrieb über die Schriftstellerin Brigitte Reimann: „Von der bleichen Prinzessin“

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Sie erforschten mehrere Jahre das Gesamtwerk von Brigitte Reimann, die 1973 starb. Zum 75. Geburtstag im Juli 2008 erschien jetzt Ihre Dissertation als Buch unter dem Titel „Von der bleichen Prinzessin“ beim Verlag Dr. Müller. Warum wandten Sie sich gerade dieser Autorin zu?

Brigitte Reimanns Werk ist besonders eng mit der DDR-Geschichte verwoben. Mich interessierte damit auch meine eigene DDR-Vergangenheit. Nach der Veröffentlichung ihrer Tagebücher 1997 und 1998 entschied ich mich endgültig zu dieser Arbeit. Durch den frühen Tod Reimanns blieb es ein schmales Werk, über das bisher nicht viel geforscht wurde. Autorinnen wie Christa Wolf, Maxie Wander und Irmtraud Morgner waren für die Literaturwissenschaft interessanter. Auch ist ihre frühe Prosa der Trivialliteratur zuzurechnen.

Bekannt ist eigentlich nur der Roman „Franziska Linkerhand“, der von Lothar Warneke verfilmt wurde.

Mich interessierte auch das Leben Brigitte Reimanns. Sie lebte mit großer Radikalität. Ohne Rücksicht auf Verschleiß. Sie hatte vier Ehemänner und viele Liebhaber. Keine Kinder. Sie trank und rauchte viel. Ihr Leben ist so ziemlich der absolute Gegenentwurf zu meinem eigenen. Ich habe sechs Kinder von einem Ehemann.

Was sind Ihre Forschungsergebnisse zu Reimanns Werk und Biografie?

Ich verglich das Prosawerk und das Tagebuchwerk, untersuchte, inwieweit ihre Gedanken und Erfahrungen, die sie sehr genau in ihrem diarischen Werk thematisiert, in ihre Erzählungen einfließen. Was sie verschweigt oder metaphorisch verschlüsselt. Der Roman „Franziska Linkerhand“ gibt die ergiebigsten Auskünfte. Darin beschreibt Reimann die sozialen Verwerfungen einer Reißbrettstadt, in der keine lebendige Urbanität entstehen konnte. Das Ergebnis war ein hoher Alkoholkonsum, Gewalt und Selbstmorde, wie Reimann sie selbst in Hoyerswerda erlebte. Vieles wurde von der Zensur gestrichen und ist erst in der Ausgabe von 1998 nachlesbar. So erzählte ihr ein Arzt, dass in der Neustadt wöchentlich zwei Selbstmorde passieren. Diese Information konnte man in der DDR-Fassung 1974 nicht lesen.

Was haben Sie für sich selbst herausgefunden? Was waren die Schnittstellen zu Ihrem eigenen Leben?

Das Utopische interessierte mich. Wie die Menschen anfangs begeistert waren von der Idee des Sozialismus und wie immer mehr die Enttäuschung einsetzte. Brigitte Reimann hat genau hingesehen und das Auflösen des Ichs für das Wir beschrieben: die Missachtung des Individuums. Ihrem Gesamtwerk und der Biografie sind viel Utopisches und auch viel krude Ideologie eingeschrieben. Und es ist auch eine zunehmende Romantikrezeption zu erkennen. Eine Scheideweg war für sie 1968 nach dem Einmarsch der Sowjetarmee in Prag. Das war auch für mich und meine Generation eine große Enttäuschung. Mit vielen Idealen des Sozialismus hatten wir uns vehement identifiziert. Reimann verweigerte damals die Zustimmungsunterschrift im Schriftstellerverband. In dieser Zeit erkrankte sie an Krebs. Danach wurde nichts mehr von ihr veröffentlicht.

Die Protagonisten in Reimanns Werk sind immer Frauen. Wie beschrieb Reimann die Rolle der Frauen in der DDR?

Bei den Frauenfiguren ist ein deutlicher Wandel von der männlich dominierten zur selbst bestimmten Frau zu erkennen. Auch werden die Frauen selbst zunehmend männlicher. Damit bestätigt sie die These, dass die Gleichheit in der DDR vom Mann aus gedacht war.

Finden Sie das auch für Ihr eigenes Leben in der DDR bestätigt? Sie arbeiteten als Chemikerin und mussten Beruf und Familie mit sechs Kindern bewältigen.

Unbedingt. Man konnte in der DDR in jedem Beruf und mit jeder Kinderzahl arbeiten. Aber dennoch hatte wohl jede Frau das Gefühl, nirgendwo richtig zu genügen, da der größere Arbeitsanteil eben doch bei der nicht ganz (männer)gleichen Frau blieb. Das erzeugte eine immerwährende Spannung und Anspannung.

Schreiben Sie selbst Tagebuch?

Ja, seit einiger Zeit versuche ich aus Tagebuchnotizen und Briefen mein eigenes Leben in der DDR zu rekonstruieren. Aber noch sind diese Texte sehr privat.

Das Gespräch führte Heidi Jäger.

BarbaraWiesener, Von der bleichen Prinzessin – Das Utopische im Werk Brigitte Reimanns, VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken

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