Kultur: Öl für die Maschinen
Ein Wiederhören mit Agnes Kraus im Planetarium
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Lärmend drängte jüngst eine Kindergartengruppe in die S-Bahn hinein. „Scht!“, mahnte die Erzieherin, „nicht so laut!“ Ein Knirps darauf ganz naiv: „Warum denn leise?“ Diese Alltagsszene hatte, wie Herr Zufall es will, eine ganze Menge mit dem „Hörkino unter den Sternen“ am Tage vorher zu tun, einer empfehlenswerten Veranstaltungsreihe der URANIA mit der Potsdamer Bibliotheksgesellschaft im „hauseigenen“ Planetarium. Martin Stephans Hörspiel „Ich will nicht leise sterben“ stammt wohl aus den achtziger Jahren der DDR, als man in der Arbeitswelt nicht nur „Kollektiv“ zueinander sagte, sondern sich oftmals auch so verhielt, von Mensch zu Mensch sozusagen.
In einer Zeitungsdruckerei schafft Hilfsarbeiterin Klara (Agnes Kraus) bereits seit fünfzig Jahren anderen den Dreck weg, putzt, holt Öl für die Maschinen heran, kocht den Kaffee fürs Personal. Alles scheint seinen sozialistischen Gang zu gehen, würde sie nicht kurz vor ihrem siebzigsten Geburtstag so ein Stechen in der Brust verspüren – kurz vor dem siebzigsten Geburtstag eine kreuzgefährliche Situation. Den möglichen Tod vor Augen, räsoniert Klara nun ihr Leben, lässt den Arbeitsanfang auferstehen, wo sie nicht nur beim Druck der „Roten Fahne“ dabei war, sondern auch die Liebe ihres Lebens, Erich, fand. Er machte ihr den ersten Sohn, und verließ sie, wie das mit zwei weiteren Mannsbildern ganz genauso geschah. Nun lebt sie allein mit ihrem Piepmatz in einer größeren Wohnung, stets bedacht, niemals Stille heraufkommen zu lassen, denn die kann sie nun gar nicht ertragen.
Und wie sie so nachsinnt, Stiche im Herzen, erscheint ihr Erich noch einmal, redet mit ihr über die alten Zeiten, alles sehr freundlich und lieb. Agnes Kraus (1911-1995) spielt diese Klara mit der unvergessenen Berliner Schnodderstimme sehr feinfühlig und nuancenreich, immer mit einem gehörigen Schuss kindlicher Naivität. Sicherlich werden manche der zwölf Besucher auch ihretwegen gekommen sein. Das Hörstück ist ja auch ein Stück Erinnerung an eine Zeit, als man um Arbeit nicht betteln musste, die Leute noch nicht herzkühlen Sinnes waren und man auch noch mit Ende 60 eine gern gesehene Arbeitskraft war. So viel Vergleich muss sein, wenn das Deutsche Rundfunk-Archiv diese Produktion (in weiteren Rollen Gerd Grasse, Winfried Glatzeder) dem Planetarium schon kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Aber vielleicht war der Untertitel „Märchen für Erwachsene“ auch nur ironisch gemeint, wer weiß. Martin Stephan hatte ja nicht nur die real-sozialistische Einsamkeit thematisiert, sondern auch das Wohnungselend: Klara will ihrem Kollegen zwei ihrer drei Zimmer abtreten, damit er ihr Heim „übernehmen“ kann, wenn sie stirbt, eine damals gängige Praxis – zudem auch Gesellschaftskritik in Maßen.
Allzu sehr sollte man in Stephans Text auch nicht herumstochern, sonst könnte sich zeigen, dass er manches Motiv schlichtweg nur gesetzt, nicht aus dem Kontext heraus entwickelt hatte. Klara jedenfalls erwägt ihren Tod, will aber nicht in der heimischen Stille sterben. Depressiv, würde man heute dazu sagen. So malen die Kollegen ihr Ende vor, inmitten der ratternden Offset-Maschinen: Aufbahren würde man sie feierlich, ihr zu Ehren die lauten Geräte abstellen Nicht!“, ruft sie entsetzt dazwischen, „die Maschinen müssen laufen!“ Eben, damit es nicht zu stille wird, am Ende ihres Lebens. „Warum denn leise!“, fragte ja auch das Kind. Gerold Paul
Gerold Paul
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