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Kultur: Oma besuchen, das fetzt

Das Berliner Puppentheater „Spectaculum“ kam mit dem Grimm-Märchen Rotkäppchen ins T-Werk

Stand:

„Wenn“s jetzt gleich dreimal klingelt, geht“s los“, erklärt der Mann im roten T-Shirt. „Wenn“s danach noch mal klingelt, haben die Eltern das Handy vergessen.“ Die Kleinen kichern, die Großen schmunzeln und schalten ihre Telefone aus. Der Mann im roten Shirt verschwindet hinter seiner Puppenkiste, gleich werden die Kinder ihn vergessen haben. Sobald sich der rote Vorhang in dem kleinen Fensterchen öffnet, existieren für sie nur noch die Holzfiguren und ihre Geschichte. Jedes Kind weiß, was jetzt kommt und doch können sie“s kaum erwarten. Klingeln, Vorhang auf. Auftritt Rotkäppchen.

Der Mann in Rot, der für die Kinder jetzt verschwunden ist, aber Rotkäppchen, Wolf, Vögelchen und allen anderen seine Stimme geben wird, heißt Christian Bahrmann. Als kraftstrotzende Ein-Mann-Maschine steht er hinter allen Stücken des Berliner Puppentheaters Spectaculum. Zwar gibt es Mitstreiter für Regie (Harald Preuß), Musik (Ralf Zimmermann) und Puppenbau (Werdin und Bachmaier), aber die Vorstellungen stemmt er allein. An der Ernst-Busch-Schule studierte er Schauspiel und Puppenspiel, seit 2001 zieht er mit einer Puppenbühne und klassischen Märchen im Gepäck als „Spectaculum“ durch Schulen, Theater, sogar Wohnzimmer. Er kommt, wohin man ihn einlädt: Sein größtes Publikum waren 400 Kids im Berliner FEZ, sein kleinstes vier Mädchen auf einem Kindergeburtstag. Jetzt ist er – „wie immer gern“ – im T-Werk zu Gast.

Schon zu Anfang ist klar, dass Christian Bahrmann Grimms Märchen nicht allzu grimmig erzählt. Rotkäppchen ist ein ziemlicher Frechdachs. Während die Mutter konzentriert Laken und Socken aufhängt („die müffeln ja!“) und sich fragt, wo denn wohl ihr kleiner Schatz geblieben ist, verkriecht sich der hinter der Leine. Schnellt immer dann hoch, wenn die Mutter gerade nicht guckt und wirft ihr freche Kommentare in den Nacken. Schon hat Rotkäppchen die Kinder auf ihrer Seite, der Saal kugelt sich vor Lachen. Wer weiß, wie man die Großen austrickst, hat die Kleinen schon fast gewonnen. Außerdem spricht Rotkäppchen hübsch ungrimmsch: „Großmutter besuchen, das fetzt!“ ruft sie, als sie erfährt, dass Oma-Besuch angesagt ist. Auch die erwachsenen Begleiter erhalten Identifikationsangebote. „Der weiß ja genau Bescheid“, flüstert eine Mutter, als Rotkäppchens Mutter in einem Wasch-Lied die Vorzüge von Weichspüler und Wäschestärke besingt.

Irgendwann lacht hier wohl jeder. Die Großen, als Mutter Rotkäppchen mit „Frau Schmidt“ angeredet wird, die Kleinen, als das furzende Wildschwein seinen Auftritt hat. Oder andersherum. Selbst als man erfährt, dass im Wald ein Wolf unterwegs ist – „Ein echter! In Potsdam!“ – hört der Spaß nicht wirklich auf. Denn der böse Wolf, der sich inkognito „Wolfgang“ nennt, hat zwar gefährlich große Zähne und eine ziemlich gruselig menschliche Hand, ist aber eigentlich ein ungebildeter Lümmel: Früher, erzählt er uns, hatte er einen „Vokuhila“-Schnitt („Den tragen die in Rostock heute noch!“) und richtig lesen kann er auch nicht. Wie es sich für Märchen gehört, ist Klugheit hier Sache der Guten: Rotkäppchen kann schon lesen, und das Vögelchen – Briefträger, Freund und Retter in der Not – natürlich auch.

Was manchmal ganz schön schulmeisterlich wirkt, bricht Christian Bahrmann zum Glück durch seinen charmant laxen Umgang mit der „vierten Wand“. Er hört genau auf sein Publikum, reagiert auf jede Regung. Die Kinder werden hier nicht einfach mit einer längst bekannten Fabel gefüttert, sondern in ihrem Mitmach, -Einmisch, -und Reinredewillen ernst genommen. „Du hast ja Hände!“ brüllt ein kleiner Junge an einer Stelle dem Wolf zu. „Na, du doch auch!“ ruft Bahrmann als Wolf zurück. Und wieder lachen Große und Kleine, zusammen. Dass Grimms Spiel mit den Urängsten trotz Auflockerung, Potsdam-Referenzen und Lachern funktioniert, zeigt sich nach der Vorstellung. Den bösen Wolf am Ausgang beäugen die Kinder misstrauisch, nicht alle trauen sich, ihn zu streicheln. Dabei, versichert Bahrmann, sei er doch ganz ungefährlich. Nur ein bisschen kitzlig. Lena Schneider

Weitere Vorstellung: heute 10 Uhr

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