
© Andreas Klaer
Kultur: „Opern-Tapas“ zum Probieren
Jakob Schokkings Musiktheaterprojekt „Sonic Bricks“ wird heute in der fabrik vorgestellt: Als noch unvollendete Komposition
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Er lässt sich gern überraschen. Nichts findet Jakob Schokking langweiliger, als nur seine eigenen Ideen umzusetzen. Deshalb kehrte der in Dänemark lebende Holländer erst der Grafik, dann der Performancekunst den Rücken und öffnete sich für andere Bereiche. Er scharrte Komponisten, Musiker, Schriftsteller, Videokünstler um sich, die jeder Einförmigkeit den Garaus machen. Was er heute auch in der Potsdamer „fabrik“ unter Beweis stellen möchte.
Seit seinem ersten Musiktheaterprojekt vor über 20 Jahren präsentiert er immer wieder verblüffende, international beachtete Produktionen – wobei sein Musiktheater nichts mit dem traditionellen Verständnis von Oper oder Operette zu tun hat. Sich nur dem Komponisten unterzuordnen, ist nicht sein Ding. „Wenn alles schon auskomponiert ist, dann ist das wie das Alte und Neue Testament zusammen. Nichts kann mehr richtig geändert werden“, sagt er in seiner heiter-respektlosen Art. In Jakob Schokkings multimedialer Welt rotiert alles. Nichts ist in Stein gemeißelt. Selbst wenn sein neues Projekt „Sonic Bricks“ überschrieben ist, was in etwa Laut Mauersteine heißen könnte.
Aber auch dieser Name kann noch bis zur Premiere Anfang des nächsten Jahres in Kopenhagen verändert werden. „Ich halte es da mit den Skandinaviern, die ihren Kindern oft erst nach Monaten einen Namen geben und sie bis dahin nur ,Mein Kleines’ nennen.“ Sein „Kleines“ soll heute nach einem einwöchigen Workshop in der „fabrik“ geboren werden. Nicht als fertiges Ganzes, sondern als etwas allmählich Reifendes, „durchaus aber Präsentierbares“, wie der charismatische Regisseur betont, der mit einer dänischen Künstlerin und zwei vietnamesischen Adoptivkindern zusammenlebt.
Seinen „Sonic Bricks“ liegt das Buch „Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari zugrunde. Die englische Komponistin Juliana Hodkinson kam eines Tages mit diesem Buch unterm Arm in sein Zwei-Mann-Büro „Holland House“ nach Kopenhagen, wo Schokking als künstlerischer Leiter arbeitet und seine internationalen Projekte anschiebt. „Diese Plateaus beschreiben einen Prozess von Steigerungen bis hin zum optimalen Zustand, der sich wieder auflöst, um neue Prozesse anzuschieben. Das Material erwies sich indes als viel zu kompliziert und zu wenig dramatisch für die Bühne.“ Aber er kam assoziativ der Philosophie bei. „Ich stellte mir einfach die Frage: Wie ist mein eigener Raum? Wie wird er von anderen eingeengt? Beispielsweise wenn der Krach der Nachbarn zu mir vordringt?“
Doch erst in den Gedichten der dänischen Schriftstellerin Ursula Andkajaer Olsen fand er das geeignete textliche Plateau. „Wir bauen nun wie im Legoland Bilder aus Text, Geräuschen und Musik.“ Auf die Bühne gebracht werden sie vom Kammerensemble Neue Musik Berlin, drei Darstellern sowie von jeder Menge Videoproduktion und Elektroakustik. Das Team ist mit einem ganzen Park von Computern ausgerüstet und mag es dennoch reduziert. „Ich habe früh gelernt, mit einfachem ABC zu arbeiten und nichts mit komplizierten Texten, Bildern und Musik zu überfrachten. Sonst gibt es ein Ratatouille. Wir arbeiten minimalistisch und werden im Zusammenspiel komplex. Video ist für mich dabei der Schraubendreher, der als wichtiger Mit- und Gegenspieler den Raum modelliert.“ Und der bekommt ein ganz besonderes Flair, wenn plötzlich 60 weiße Plastikstühle vom Himmel regnen. Auch hier setzt Jakob Schokking auf Assoziationen. „Ich bin kein Plot-Regisseur. Mich interessieren Bilder, Kadenzen, Rhythmen, die Musikalität der Sprache.“ Doch gesungen wird bei ihm nur, wenn es nicht mehr anders geht. Auch da geht er deutlich auf Distanz zur „normalen“ Oper.
Schokking serviert heute mit seinem halbstündigen Projekt sozusagen eine Opern–Tapas, keine dicken Knödel, wie er sagt. „Wir wollen zeigen, wie diese Tapas riecht und schmeckt.“ Nach der heutigen „Verkostung“ wird die Tapas auf eine Warmhalteplatte gestellt und jeder Künstler verfeinert auf seine Weise die Rezeptur. Am Ende, vor der Premiere, wird alles noch einmal wohl abgeschmeckt. Dann möchte sich Jakob Schokking nicht mehr nur überraschen lassen, sondern selbst überraschen.Heidi Jäger
Heute, 15 Uhr, fabrik, Eintritt frei
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