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Kultur: Opfer ohne Täter

Katharina Winkler schreibt in ihrem Debütroman über häusliche Gewalt – und über Emanzipation

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Ein Tal im türkischen Hinterland voller blauer Frauen. Sie tragen die Farbe wie ein Schmuckstück um Hals, Armgelenke und Fesseln. Tägliche Geschenke ihrer Ehemänner. Vom „Blauschmuck“ dieser Frauen – und insbesondere dem der Protagonistin Filiz – erzählt Katharina Winklers gleichnamiger Debütroman. Ein harmloses Wort wird hier zum Inbegriff häuslicher Gewalt. Am vergangenen Donnerstag war sie zu Gast bei „Kruso“-Autor und Träger des Deutschen Buchpreises Lutz Seiler im Peter-Huchel-Haus: Vorpremiere in Wilhelmshorst also.

Was in einer leidvollen Ehe endet, beginnt als feurige Liebesgeschichte. Gewalt und Schönheit, das steht bei Winkler zusammen – auch sprachlich. Als „Poesie der Ohnmacht“ bezeichnet Sabine Vogel in der Frankfurter Rundschau Winklers Buch. Die Synchronizität von Horror und Idyll gehöre zum Leben dazu: „Es gibt Hinrichtungen auf blühenden Frühlingswiesen“, so Winkler.

Die junge Filiz, vielleicht ist sie zehn oder zwölf Jahre alt, verliebt sich in Yunus. Einige Jahre später heiraten sie – gegen den Willen ihres Vaters. Aus der Familie verstoßen, muss sie Vorlieb nehmen mit ihrer Schwiegermutter, die sie nur „die Spinne“ nennt. Und die macht ihr deutlich bewusst, dass sie nun Yunus Eigentum ist. Yunus schlägt, Yunus stößt sein Glied in sie hinein, Yunus schweigt so lange, bis auch das Schweigen zur Gewalterfahrung wird. Er, für den sie ihre Familie verlassen hat, hat sie zu einer blauen Frau gemacht. „Ich bin ein Kind, ich bin eine Ehefrau. Yunus muss mir das Kind aus den Knochen schlagen und mir die Ehefrau ins Gehirn prügeln“, sagt Filiz.

Kann eine in Österreich aufgewachsene Frau so eine Geschichte, fernab ihrer eigenen Realität, erzählen? Sie kann. Denn Filiz, Yunus und ihre drei Kinder emigrieren nach Österreich – und so treffen Protagonistin und Autorin in der väterlichen Landarztpraxis aufeinander. Als Winkler 13 Jahre alt ist, taucht da eine vollkommen verhüllte Frau auf. Zwischen ihr und Winklers Mutter entwickelt sich eine Bekanntschaft. Winkler erlebt mit, wie diese Frau es schafft, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann loszusagen.

Klar: Winkler will Filiz’ Erlebnisse aufbewahren. „Ich wusste, dass ich noch gar keine Sprache habe, diese Geschichte zu erzählen“, so Winkler. Also zeichnet sie Filiz Erzählungen auf – 60 Stunden Tonbandaufnahmen, an denen sich der Roman entlanghangelt. Erst zehn Jahre später wagt sie sich an das Material und versucht, den Opfern eine Stimme zu geben – und den Tätern: „Ich habe überhaupt keinen Täter. Selbst der Täter ist Opfer seiner selbst, Opfer der gesellschaftlichen Konstruktionen und Erwartungen.“

Die Geißel des Patriarchats, die Filiz durch Vater und Ehemann zu spüren bekommt, ist dieselbe, die auch den Mann fesselt. Das wird Winkler beim Schreiben bewusst: „Für Augenblicke ist es mir gelungen, Menschen zu verstehen, die ich vorher nicht verstanden habe. Man kippt sehr schnell zurück in eine Wertung, die man aus einer westlichen Perspektive auf die Dinge hat.“ Verurteilen darf und soll man die Gewalt natürlich trotzdem. Aber bitte ohne Schubladendenken.

Und so ist man letztlich bei der Gretchenfrage angelangt, die während der Lesung unablässig wie ein ungebetener Gast an die Pforte des Peter-Huchel-Hauses hämmert: Was hat der Islam damit zu tun? Vielleicht muss man sie stellen. Denn „Blauschmuck“ entfaltet sich im Kontext konservativer Gesellschaftsstrukturen, kreist um den Ehrbegriff und den Schutz der Jungfräulichkeit. Um Religion, so Winkler, gehe es aber nur indirekt. „Religion wird gerne missbraucht. Der Glaube, das Recht zu haben, über jemand anderen zu herrschen, das findet leider überall statt, unabhängig von kulturellen Kontexten.“ Sie möchte vor allem die Geschichte einer Selbstbehauptung erzählen. „Der wichtigste Moment der Emanzipation ist die Emanzipation von sich selbst. Das Hinauswachsen über die Grenzen in einem.“

Trotzdem erscheint „Blauschmuck“ zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte um die Beziehung vom Islam zur Frau zum Dauerbrenner geworden ist. Seit der Kölner Silvesternacht finden sich vor allem unter den Rechtspopulisten auffallend viele Feministen, die die Debatte politisch instrumentalisieren. Habe sie denn da keine Angst vor Applaus von der falschen Seite? Winkler: „Ich hoffe, dass die Sprache das Buch schützt. Das ist keine Sprache für Münder mit banalem Gedankengut.“ Theresa Dagge

Katharina Winkler: Blauschmuck. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 196 Seiten, 18,95 €

Theresa Dagge

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